Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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Die innere Freiheit

von Holger Isabelle Jänicke / August 2022

In Hamburg hat Holger Isabelle Jänicke 30 Tage im Gefängnis gesessen, weil er:sie im April 2019 für eine Stunde die Übungsflüge des Luftwaffengeschwaders in Büchel unterbrochen hatte, so dass für eine Stunde symbolisch auch die Bedrohung anderer Menschen durch in Deutschland stationierte Atomwaffen unterbrochen war. Wir drucken Holger Isabelles Brief zu Beginn der Haftstrafe in Auszügen ab.

Liebe Freundinnen und Freunde,
am 17. August werde ich für 30 Tage ins Gefängnis gehen. Das Landgericht Koblenz hatte mich an meinem 60. Geburtstag am 18. Januar 2022 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen á 17 € verurteilt. Da ich die Geldstrafe nicht zahle, habe ich nun eine Ladung zum Haftantritt bekommen, der ich nachkommen werde. (...)

Von welcher Freiheit wollen wir sprechen?

Ich hatte mir im April 2019 die Frei-heit genommen, in das Gelände des 33. Luftwaffengeschwaders der Bundeswehr in Büchel einzudringen. Dort werden 20 Atombomben bereitgehalten und ihr Abwurf täglich trainiert. Jede Übung sendet das Signal an die Menschen vor allem in Russland: Wenn Eure Führung nicht brav ist, zerstören, verbrennen, vergiften und verdampfen wir Euch in Euren Städten. Als ob die Menschen in Russland nicht genug unter dem Regime zu leiden hätten. Und sie haben nicht die Freiheit, sich zu organisieren und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern. Sie bekamen in den letzten Jahren dafür auch keine wirkungsvolle Unterstützung. Das hätte die Geschäftsbeziehung mit den Oligarchen und der politischen Führung gefährdet.

Aber ist dieser Blick noch aktuell? Die russische Regierung führt Krieg gegen die Ukraine. NATO, EU und die Bundesregierung stellen sich eindeutig auf die Seite der Ukraine – und die Atomwaffen bleiben in ihren Bunkern? Manche behaupten gar, die aktuelle Situation zeige, dass die atomare Abschreckung funktioniere und wie notwendig sie sei.

Richtig ist aber doch, dass die Behauptung, die atomare Abschreckung sichere den Frieden, völlig falsch ist. Diesbezüglich hat die Politik der Abschreckung versagt – und das nicht erst seit dem Ukraine-Krieg.

Nach wie vor ist die Politik der Abschreckung (und insbesondere der atomaren Abschreckung) brandgefährlich und höchst unfriedlich. Was macht das mit einer Gesellschaft, in denen ein erheblicher Teil der Menschen zu staatlich bezahlten Massenmördern ausgebildet wird? Was macht das mit einer Gesellschaft, die ständig unter dem Damoklesschwert der atomaren Vernichtung existieren muss?

Wie könnt Ihr mich sonst unterstützen?

Ich meine, es braucht hier dringend die Freiheit des selbstständigen Denkens und Handelns, gerade auch dann, wenn uns selber diese Freiheit Opfer abverlangt, wenn sie uns ins Gefängnis führt, weil die Gesellschaft gefangen ist in Sachzwängen. Diese Sachzwänge, das müssen wir uns dabei auch vergegenwärtigen, sind keine naturgesetzlichen Sachzwänge. Sie sind entstanden, indem einzelne, meist ökonomische Partikularinteressen es geschafft haben, sich über das Interesse eines guten Lebens für Alle zu stellen. Aber wir haben uns dem zum Teil auch selber unterworfen, weil es bequemer ist, mit dem Mainstream zu schwimmen und das Leben so zu führen, wie es Alle führen. Weil es bequem ist, nicht so viele Fragen zu stellen und sich stattdessen von einer Modeindustrie regelmäßig neu einkleiden und von der Freizeitindustrie betäuben zu lassen. Gleichzeitig sind wir heute unzufriedener mit unserer Existenz denn je.

Wenn ihr also in meiner Haftzeit über meine Freiheit nachdenkt, dann denkt auch über Eure Freiheit nach und sprecht darüber mit Anderen! Und schreibt mir (auch nach der Haftzeit) über Euer Nachdenken.

Ihr könnt natürlich auch gerne Eurem Bundestagsabgeordneten schreiben und ihm/ihr klar machen, dass die atomare Abschreckung ein gefährlicher Irrweg ist. Gerne könnt ihr mir Kopien Eurer Korrespondenz schicken.

Letztlich aber geht es nicht nur darum, MICH zu unterstützen, sondern die Gewaltfreie Bewegung in ihren Bemühungen, den Druck aufrechtzuerhalten, den es für die Abrüstung der Atomwaffen braucht. Wenn ihr Gewaltfreie Aktionen gegen die Atomwaffen machen wollt, meldet Euch gern bei mir. Nur gemeinsam kommen wir dem Ziel näher.

Nachtrag
I
ch widme diese Haft dem US-amerikanischen Pflugschar-Aktivisten Carl Kabat (er war auch Catholic Worker in St. Louis, Missouri, die Red.). Er ist am 4. August im Alter von 89 Jahren verstorben. Carl Kabat saß in den USA 17 Jahre in Haft, weil er auf einer Militärbasis für atomare Langstreckenraketen den Silodeckel mit einem Preßlufthammer bearbeitete. 1983 nahm er auch an der Pflugschar-Aktion in Schwäbisch Gmünd teil, bei der eine Zugmaschine für die Pershing-II beschädigt wurde. Ich lebte von 1987 bis 1995 in Mutlangen in einer Gemeinschaft von Friedensarbeiter*innen. Wir hatten unser Haus nach Carl-Kabat benannt.

Zum Schluss wie üblich, ein Gedicht. Ich habe es 1990 in der JVA Heidenheim geschrieben, als ich wegen Mutlangen-Blockaden 9 Monate einsaß:

Das Jura-Studium

Stacheldraht auf Mauerkrone
Schaut herüber durch das Gitter
In der fahlen Morgensonne
Droben auf dem Berg
Rüsten Pershings Ungetüme
Zum Abmarsch in die Wälder
Zum Abflug zu den Zielen

Freunde sitzen mahnend, hoffend
Auf jede Stunde Leben mehr
Strafrechtsbuch auf grünem Tische
Scheuer Blick durchs Fenstergitter
In die helle Morgensonne

Strafzweck, Sühne, Schuld Versuch und Vorbereitung
Geschrieben klug und weise
Finde nichts von Völkermord
Und unserm Recht zu Widerstehn

Putenbrust auf Reis, Gemüse
Schaut heraus aus blecherm Napfe
In die kahle Einzelzelle
Auf dem Tisch die Post
Ach, ein Richter schreibt vom Richten
Nach dem Gesetz und Recht
Das Recht, so schreibt er, bleibe
Bleibt das Recht, so bleibt es nicht mehr
Vernichtet wird es auch mit uns

Liebe Grüße Holger Isabelle Jänicke (für Kontakt zu und Unterstützung für das Rechtshilfebüro siehe www.rechtshilfebuero.de)



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