Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Diakonie als Lebensweise

von Klaus Schmidt / September 1998

Von Bethel zu "Brot und Rosen", vom Sozialkonzern zur Basisdiakonie. Diakonie heißt Dienen. Jesus als der Dienende ist das Gegenmodell zu einem Herrschaftsverhältnis. Klaus Schmidt ist Mitbegründer und nun Freund der Basisgemeinschaft. Hier beschreibt er seinen persönlichen Weg.

Vor zehn Jahren war ich an der Diakonenschule Nazareth in Bielefeld-Bethel im Grundseminar. Dorthin hatte mich die Suche nach einem tatkräftigen Christsein geführt. Ich suchte nicht Menschen, die vollmundig predigen und deren Alltag ein ganz anderer ist, sondern eine glaubwürdige, gemeinschaftliche Lebensweise, in der Reden, Handeln und Suchen nach Gott zusammenkommen. Während meiner Zeit in Bethel und später am Rauhen Haus in Hamburg lernte ich, daß Diakonie nicht nur praktisches Christentum, sondern eine bestimmte Form der Existenz ist.

 

Folgende Aspekte im Leben von Jesus wurden mir besonders wichtig:

  • 1) Jesus kommt nicht als Messias, der sich dienen läßt, sondern als der Menschen Dienende, als Diakon schlechthin. Das Dienen ist nicht allein Sache der SklavInnen, sondern der JüngerInnen Jesu. Die Versorgung mit dem Nötigen als Grundzug des guten Lebens ist Sache aller. Diakonie soll eine Lebensweise aller JüngerInnen Jesu sein.
    Für eine diakonische Kirche heißt das konkret: Diakonie ist die Sache aller ChristInnen und nicht allein Sache von professionellen HelferInnen. Darum kann es einer diakonischen Kirche nicht darum gehen, einige wenige zu professionalisieren und für diakonische Aufgaben zu deligieren, sondern Diakonie als Lebensweise aller unter dem Gottesvolk zu verbreiten.

  • 2) Jesus als der Dienende ist das Gegenmodell zu einem Herrschaftsverhältnis.

  • a) Jesus lebt an der Seite von Ausgegrenzten (Kranken, Frauen, Kindern, Sektierern, Zöllnern etc.). In erster Linie teilt er mit ihnen sein Leben und dadurch hilft er ihnen. Diese Solidarität Jesu schreckt vor Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Unheilbarkeit nicht zurück. Diese Perspektive bedeutet einen radikalen Standortwechsel für unsere herrschende Theologie zu einer Kleine-Leute-Theologie. Von Befreiungstheologie anderer Kontinente können wir dabei lernen.

  • b) Jesus übt Herrschaftskritik an den religiösen und politischen Mächten, er ist Prophet und wird dafür hingerichtet. Eine diakonische und prophetische Kirche hat die Aufgabe, die Götzen der Macht zu demaskieren, die repressive Sozialpolitik, die Leistungsideologie, den Konsumterror, ungerechte Strukturen anzuklagen.

  • c) Jesus bleibt nicht beim Anklagen der ungerechten Verhältnisse. Er lädt ein mitzukommen, bereits jetzt eine Gegenwelt aufzubauen, er spricht vom Reich Gottes. Dieses Teilen in Gemeinschaft, diese "Koinonia-Praxis", begreift Armut und Ausgrenzung als Versagen der Gemeinschaft. "Diakonie muß Gemeinschaft sein", wie Moltmann sagt. Eine Dienstleistungsdiakonie ist etwas anderes. Hinter ihr steht der Gedanke, einen Menschen wieder konkurrenzfähig zu machen. Konkurrenz ist das Prinzip des herrschenden Kapitalismus, das vom Recht des Stärkeren lebt. Diakonie als Lebensweise ist das Gegenteil: Sie verhilft den Ausgegrenzten zu ihrem Recht. Darum hat eine diakonische Kirche es zur Aufgabe, Zellen von Gemeinschaft einer neuen Welt zu säen.

 

Während des Grundseminars wurde mir schnell klar, daß ein Sozialkonzern wie Bethel heute nicht mehr viel mit dieser diakonischen Lebensweise zu tun hat. Zwar ist ihr Ursprung und die Motivation vieler MitarbeiterInnen diakonisch motiviert, ansonsten unterscheidet sich dieses soziale Unternehmen im zunehmend freien Markt im Kampf um Marktanteile in keiner Weise von anderen der Wirtschaft. Es geht um die günstigste Wirtschaftsweise, um das Recht des Stärkeren auf dem sozialen Markt, indem Preise durch schlechtere Standards gesenkt werden. Die ´Ware´, sprich der Mensch, wird noch stärker Objekt des Handelns als ohnehin schon.

Während der letzten zehn Jahre war ich auf der Suche nach einer Lebensgemeinschaft, die zudem diakonisch nicht nur im Sinn von Sozialarbeit, sondern auch im weiteren Sinn des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung handelt.

Mein weiterer Weg führte mich nach Taizé zur dortigen ökumenischen Bruderschaft. Ich fand dort meine spirituelle Heimat, meine Verortung in der weltweiten Kirche, aber nicht ein konkretes Handeln mit und für Randständige.

Zurück in Deutschland ging ich meine Fachausbildung am Rauhen Haus an. Da war ich wieder bei einem großen Diakonieunternehmen, das aber keine Ghettos vorhält, sondern durch Dezentralisierung in Wohngruppen über die ganze Stadt wesentlich stärker auf der Suche nach einer Normalisierung ist. Dennoch vermißte ich den solidaritätsstiftenden, gemeinschaftlichen und politischen Aspekt aufs neue.

Gerade die Ausgegrenzten leiden in einer Großstadt wie Hamburg unter der immer weiter um sich greifenden sozialen Isolation und Beziehungslosigkeit in der Gesellschaft. Sie sind HilfeempfängerInnen eines hierarchischen Hilfehandelns, nicht Schwester oder Bruder. Ansätze der Subjektorientierung, die ja im Sinne von "Was willst Du, das ich Dir tue?" (Jesus in Mk. 10,51) diakonisch sind, haben leider oft Individualisierung ohne Gemeinschaftsbezug zum Ergebnis. So kann ein Leben allein in einer kleinen eigenen Wohnung ohne ausreichende soziale Kontakte genauso inhuman werden wie die früheren Schlafsäle in den altehrwürdigen diakonischen Einrichtungen. Der Götze des Individualismus greift um sich. Gott spricht in erster Linie zu seinem Volk und nicht zum Einzelnen. Der Mensch wird erst Mensch, wenn er in die Gemeinschaft wieder aufgenommen wird. Zellen von Gemeinschaft werden gebraucht!

Im Studium traf ich auf meinen Mitstudenten Jens, der vorher einige Jahre in Gemeinschaften in den USA gelebt hatte und genauso auf der Suche war. Schließlich besuchte ich eine Catholic-Worker-Gemeinschaft in Los Angeles für drei Monate. Sie beeindruckte mich in ihrer Mitmenschlichkeit, wie sie Benachteiligte in ihr Haus aufnahmen in Verbindung mit ihrer politisch-prophetischen Bewußtseinsarbeit mit Aktionen zivilen Ungehorsams. Das sind AktivistInnen, denen wiederum etwas anderes fehlt, deren Modell mich aber fasziniert hat und bewog, mit den anderen aus dem Freundeskreis zu prüfen, inwieweit eine solche Diakonie auch in unserem Kontext Sinn macht.

Neben den Catholic Worker Gemeinschaften sehe ich in der Praxis der Basisgemeinden anderer Kontinente ein Leitbild. Gemeint ist eine Praxis, nennen wir es einmal Basisdiakonie, die sich solidarisch in der Gemeinde vollzieht, wobei Menschen füreinander sorgen, einander einen Dienst erweisen. Basisdiakonie, Basisgemeinde oder Basisgemeinschaft kann in Anlehnung an z.B. die lateinamerikanischen Basisgemeinden heißen, daß die christliche Botschaft mit ihrem Dienst am Nächsten keine komplexe Wissenschaft einiger professioneller ExpertInnen ist, sondern ein befreiender Impuls zur Nachfolge, der, gerade weil er alle angeht, auch den einfachen Menschen, den Ausgegrenzten verständlich sein muß. Es geht um Teilen untereinander statt um ein Helfen aus einer hierarchischen Helferposition.

Johannes Degen warnte bereits vor längerer Zeit vor einer Diskussion zwischen offener Volksdiakonie und bekennender Gemeindediakonie. Die großen etablierten diakonischen Institutionen stehen parallel zum auslaufenden Modell der Volkskirche für eine offene Volksdiakonie, die vorwiegend das leistete, was der Staat refinanziert und durchaus auch andere freie Träger machen. Eine solche Großdiakonie neigt zu einem Allmächtigkeitswahn und hat Schwierigkeiten, nah am Menschen zu bleiben. Eine bekennende Gemeindediakonie, wie z.B. früher in der DDR, beschränkt sich auf das, was andere noch nicht tun. Sie orientiert sich damit an den Nöten der Menschen und nicht daran, sich einen Marktanteil in einem bestimmten Bereich zu sichern. Sie hat ihren Ort lokal, in der Gemeinde, der Ort in einer globalen Gesellschaft, der ohnehin neu seine Funktion finden muß. Eine Basisgemeinschaft vor Ort kann eine wichtige Gruppe eines Gemeinwesens sein, von der Vernetzung ausgehen kann. "Brot & Rosen" nimmt die Menschen auf, die in der Regel woanders im Rahmen gesetzlicher Ansprüche kein Obdach finden.

Hauptansatz für eine diakonische Basisgemeinschaft ist der einfache mitmenschliche Ansatz der frühchristlichen Gastfreundschaft. Zurück zu den Ursprüngen: Bereits die frühchristlichen Gemeinden hatten Häuser, in denen sie reisende oder verfolgte Geschwister aufnahmen, Flüchtlingen, Armen und anderen Hilfesuchenden Obdach gaben. Das ist der Wesenskern von Diakonie ganz praktisch und auch für "Brot & Rosen".

 

Diesen Beitrag trug Klaus Schmidt im Februar 1998 an der Diakonenschule Nazareth in Bielefeld-Bethel vor. Er ist für den Abdruck geringfügig überarbeitet worden.



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