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Leave No One Behind!

Über viele Meter erstreckt sich beim Gedenkgottesdienst die Liste der über 40.000 Toten an den EU-Grenzen seit 1990

Seit dem ersten Requiem für die Toten auf der Flucht 2007 beteiligen wir uns als Brot & Rosen an der Durchführung dieses Gottesdienstes - zunehmend als Hausgemeinschaft

von Dietlind Jochims/ November 2020

Am Volkstrauertag, 15.11.20, begingen wir in der Hauptkirche St. Jacobi den Gedenkgottesdienst für die Toten an den EU-Grenzen. Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Pastorin Dietlind Jochims, hielt folgende Predigt zum Bibeltext Markusevangelium 2, 1-12.

Vier Freunde. Eine Menschenmenge. Einer, der nicht auf die Beine kommt. Ein paar Kritiker. Und Jesus. Das sind die Protagonisten der biblischen Erzählung, deren Anfang wir gehört haben. Eine Geschichte, die erzählt von Solidarität und Beharrlichkeit. Eine leave no one behind – Geschichte.

Die vier Männer lassen ihren gelähmten Freund nicht zurück. Er gehört dazu, er soll dabei sein können. Auch er soll eine Chance haben. Das ist nicht einfach, es gibt Widerstände, kein Durchkommen. Offenbar sind sie zu spät gekommen. Nur noch Randplätze sind frei. So ist das halt, Pech gehabt. Es scheint schon voll genug zu sein und es können ja nicht alle kommen.

Vor allem die im Haus haben es trocken und warm. Wer nicht nach draußen schaut, sieht die Welt draußen nicht einmal. Wer in der Mitte steht, muss keinen Rand sehen. Aber aus geschlossenen Häusern, aus einer geschlossenen Weltsicht kommt wenig in Bewegung. Ohne Öffnung geschieht nichts.

Und so wählen die vier Freunde einen Weg, der auch damals unkonventionell gewesen sein dürfte: Sie verursachen einen Dachschaden. Sachbeschädigung. Hausfriedensbruch. Ungemein sympathisch an der Geschichte ist, dass sie dies gar nicht zum Thema macht. Weil ein kaputtes Dach nicht das Thema ist, wenn es um Heilung geht. Weil Schlepperei nicht das Thema ist, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht.

Manchmal geschieht ohne Dachschaden nichts. Ohne Dachschaden öffnen sich keine Zugänge für Schwache und Schutzbedürftige. Ohne Dachschaden weitet sich die Weltsicht nicht, wird das abgeschottete System nicht durchlässig. Aus einem geschlossenen Haus kann man nicht in den Him-mel schauen.

Die Geschichte geht weiter: Der Gelähmte wird durch das kaputte Dach heruntergelassen. Zu Jesus. Der ist beeindruckt von der Solidarität der vier Freunde. Zu dem Gelähmten selbst sagt er zwei Sätze: Deine Sünden sind dir vergeben. Und: Steh auf, nimm dein Bett und geh.

Eine Chance auf ein neues Leben. Eine Chance, die all die an den Grenzen Gestorbenen nicht hatten. Eine Chance auf ein heileres Leben braucht Solidarität. Chancen auf ein neues Leben funktionieren nicht ohne Blick heraus aus ge-schlossenen Systemen, in den Himmel. Und eine Chance auf ein neues Leben gibt es nur, wenn ich selbst frei werden kann von Lähmungen und starren Zuschreibungen. Das braucht Andere, das braucht mich selbst, das braucht Vertrauen und Vergebung.

Dass das aus einem kleinen Haus in Kapernaum vor zweitausend Jahren berichtet wird, ist ein Licht für uns. Eine Kraftquelle und eine Erinnerung. Steh auf und geh! Die Welt ist, wie sie ist. Gar nicht so anders als damals in Kapernaum.

Es gibt die im Warmen und Trockenen. Es gibt die, die an Abdichtungen und Abschottungen arbeiten, deren System undurchlässig sein soll. In Zeiten von Corona übrigens ist das Verwirrende ja auch, dass Isolierung und Distanz plötzlich tatsächlich auch schützen können. Das lässt den Blick heraus für manche noch riskanter erscheinen. Stay at home.

Es gibt die an den Rändern, die teilhaben möchten und aber nicht durchkommen. Zumindest nicht alleine. Nicht ohne Solidarität und Freund*innen. Leave no one behind.

Es gibt Licht und Hoffnung und Heilung. Immer wieder erkämpft. Immer wieder zugesprochen. Immer wieder weitergetragen. So wie wir immer wieder diesen Gottesdienst feiern angesichts einer tödlichen europäischen Flüchtlingspolitik. So wie wir kämpfen für die Sea Watch 4 mit inzwischen über 600 Vereinen und Institutionen in United 4 Rescue. So wie seit heute bekannt ist: Wir werden ein weiteres neues Schiff ins Mittelmeer schicken.

Damals wie heute: Unser Glauben hilft. Steh auf und geh!

Ein Gedanke noch zum Schluss: Wir wären alle so gerne die vier Freunde in der Geschichte. Die solidarischen Menschenrechtler*innen, unermüdlich, kreativ, leave no one behind.

Aber wir sind auch die Anderen. Manchmal die, die nicht hinschauen wollen. Weil es so viel Kraft kostet, immer wieder hinzuschauen. Manchmal die, die gern im Warmen und Trockenen sitzen. Weil wir diese Orte brauchen, die Sicher-heit brauchen, die unsere geschützten Räume uns geben. Manchmal die Kritischen: Was ist denn das jetzt wieder? Ist das richtig so? Muss das sein?

Und manchmal eben auch die Gelähmten, die nicht so recht wieder auf die Beine kommen, die angewiesen sind auf Solidarität, Vertrauen und Vergebung.

Ich wünsche uns allen das Licht aus Kapernaum: Dass Solidarität, unser Glauben, Vertrauen und Vergebung uns helfen: Steh auf, lasst uns aufstehen und weitergehen. Wir schicken noch ein Schiff.

Denn Gott hat uns gegeben den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Er spricht: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.

Amen.



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