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Malta: Leben in Containern - im Sommer brütend heiß und im Winter eiskalt

von Fanny Dethloff / Dezember 2011

Die Menschenrechts- und Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche hielt diese Predigt beim Gedenkgottesdienst für die Toten an den EU-Außen­grenzen am diesjährigen Volkstrauertag. Im Zentrum stehen Erfahrungen einer Menschenrechtsreise nach Malta im September 2011.

„Gedenken an die Toten an den EU-Außengrenzen“

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen

Wir sind Zeugen.

Zeugen - aus biblischer und menschenrechtlicher Sicht.

„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und  werdet meine Zeugen sein…“ (Apostelgeschichte 1,8) – wir haben es eben gesungen. Das ist das Vermächtnis.

Wir sind Zeugen unseres Glaubens an den Einen Gott, der alle Menschen nach seinem Ebenbild gemacht hat. Zeugen von Jesus Christus mitten unter uns. Wir sind Zeugen von dem Fremden, den wir nicht akzeptieren können oder wollen. Er offenbart sich als Jesus selbst.

Wir sind Zeugen unseres Glaubens an ihn, Zeugen eines befreienden Glaubens, der uns auch an unsere Grenzen bringt, aber eben auch immer wieder auferstehen, widerstehen lässt - mitten in unserem Alltag.

Wir sind Zeugen von Kreuzigungen, die weitergehen, Tag für Tag, Zeugen von Menschenrechtsverletzungen um unseres Wohlstands willen an den europäischen Außengrenzen, aber auch mitten unter uns.

Wir sind Zeugen. Wir sehen das Leid. Wir sind mit jungen Menschen zwischen 20-30 Jahren nach Malta geflogen. „Menschenrechte und Bibel im Dialog. Zeuge sein“, so hieß diese Sommeruniversität dort im September, und maltesische Studierende und Flüchtlinge arbeiteten mit uns zusammen.

Welche Haltung braucht man, welchen Halt haben wir?

Sind wir so stark, dass wir das aushalten – und ist das nicht eine überflüssige Frage, weil die, die es wirklich betrifft, die Flüchtlinge, gar nicht gefragt werden, ob sie es aushalten?

 

Zeuge aus Malta:

„Ich halte das hier nicht aus.

Ich heiße Abdul und lebe seit mehreren Jahren auf Malta.

Ich halte es nicht aus, dass ihr kommt und mich fragt, wie es mir geht.

Ich halte eure Blicke nicht aus, wenn ihr mich anschaut, hier inmitten des Tent Village.

Zelte für über 700 Menschen. Es ist kalt hier und Regenzeit, und die Zelte sind kaputt. Wir leben hier mit 26 Leuten zusammen in einem Zelt, weit ab von allen Touristen.

Hal Far, so heißt das Ende der Welt auf Malta. Busse voll eurer Politiker sind schon gekommen, haben geschaut, fotografiert und sind wieder gefahren Die Lage ist nur schlechter geworden. Ich will weg hier, nach dem Festland, egal wohin. Ich will mich wieder spüren, arbeiten und ein Leben haben – und nicht diese Wartehalle, Malta, wo alles Leben erstickt. Dafür bin ich Monate durch die Wüste gezogen, hierfür, für ein Bett in einem Zelt? Hierfür habe ich meinen Freund ans Meer gegeben - er, der nicht durchhielt? Und das kleine Kind mit den großen Augen, das verdurstete und erfror, nass wie es war!

Nachts kommt das Meer zurück in meinen Träumen und holt mich, und ich sehe die, die es gefressen hat.“

 

Zeuge sein, einen gesüßten Tee trinken in den Zelten mit denen, die das Meer überlebt haben, aushalten – mehr nicht.

Worte gehen aus an diesen Rändern Europas, wo das Recht gebeugt wird und nur der Stärkste es schafft.

Die Logik der Mächtigen, den Wohlstand zu verteidigen – „Wo kämen wir hin, wenn alle kämen?“ – die kalte Logik der Hartherzigen und Gierigen.

 

Denn es wäre genug da für alle, wenn wir teilen würden. Es wäre genug da an Wasser und Ressourcen für alle, wenn wir nicht mehr verbrauchen würden, als uns zustünde. Jean Ziegler hat gesagt, jedes Kind das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.

 

Zeuge sein, für die eigenen Verstrickungen.

 

Zeuge sein und schweigend den Bruder im Fremden erkennen, die Schwester unter dem bunten Kopftuch mit dem kleinen Kind auf dem Arm.

 

Zeuge aus Malta:

„Wir sind die Überlebenden. Wir haben es geschafft. Trotz des gefräßigen Meeres, das mit seinem Schaukeln dich schon um den Verstand bringt.

Aber wenn du dann keine Wasserreserven mehr hast und nur noch beten kannst, dass deine aufgesprungenen Lippen, dass dein Körper es überstehen und der Versuchung widerstehst, Meerwasser zu trinken, weil es dich dann gleich umbringt, - wenn du dann die Rettung siehst, dann ist es nicht Italien, sondern Malta! Hier sperren sie dich ein. Sie sagen, weil du illegal ihr Land betrittst und Krankheiten mitbringst. Aber jeder weiß, dass sie dich eigentlich mürbe machen wollen. Sie wollen, dass du merkst, hier bist du nicht willkommen. Geh heim, weg hier! Aber es gibt kein Zurück. Wir sind die Überlebenden. Das hier werden wir auch überleben.“

 

Zeuge sein immer wieder, nicht nur dort auf Malta sondern auch hier, wenn sie es schaffen zu kommen: aus Malta die Somalis, die kein Zurück mehr kennen. Einen zerfallenen Staat und eine Hungersnot. Und keine Hilfe in Sicht.

Dann sind sie hier – und zerfallen selbst, wenn es heißt, sie sollen zurück nach Malta. Malta, das ist das erste Aufnahmeland, dahin müssen sie alle wieder hin – laut der Dublin-II-Verordnung. Die Länder, die die meisten Flüchtlinge eh schon aufnehmen, bekommen unsere hier glücklich angekommenen Flüchtlinge gleich wieder zurück. Menschen werden wie Pakete quer durch Europa geschoben – kein Wille eine humane Lösung für sie zu finden, sondern allein, sie los zu werden, ist oberstes Ziel.

 

Malta: 420.000 Einwohner, ein kleiner Inselstaat und ca. 4000 - 5000 Flüchtlinge. Immer mehr halten es nicht aus in den Lagern. 10-18 Monate in einem Abschiebelager und dann jahrelanges Warten in sogenannten Open Centers. Aber das Schlimmste ist nun, auch da herausgeworfen zu werden und „out of system“ zu sein – Hunger leidend vor den reich gedeckten Tischen Europas.

 

Zeuge aus Malta:

„Nimm mich mit. Gib mir eine Chance. Erzähl von mir. Ich habe schon so viel gesehen. Begrab mich hier nicht lebendig!

Nur stockend kann ich erzählen von dem Krieg in meinem Land.

Meine Geschichte steht für die vielen aus Eritrea, Äthiopien und Somalia. für all die, die es geschafft haben.

Schau dir meine Wege an, durch die zerfallenen Staaten, durch die Wüste, durch die Kerker, schau auf meine Füße, die diese Wege gegangen sind.

Meine Arme, die sich auf Lastwagen festklammerten, meinen Leib verschnürt wie ein Paket, hoch oben auf einem Truck – hunderte von Kilometern, in der Kälte der Nacht, unter der Hitze am Tag. Schau meine Polizeinummer: Januar 2009 bin ich gekommen. Weißt du, was es heißt übers Meer aus Libyen rauszufahren, im Januar?

Schau auf meine Augen, ich saß in den Kellern Libyens, Dunkelheit und Hunger – monatelang. Und wenn wir schrieen, gab es Schläge. Wir hörten die Schreie der Frauen. Nie werde ich das vergessen. Und jetzt, hier auf Malta? Jetzt haben die Füße, die Arme und die Augen zu viel Zeit. Mein Kopf wird ganz schwer von all den Gedanken.“

 

Sie sind Zeugen, Zeugen all derer, die es allein in diesem Jahr wohl nicht schafften. 2500 Menschen, so schätzt man, sind seit Anfang des Jahres im Mittelmeer ertrunken.

Ein ganzes Kreuzfahrtschiff wäre das an Passagieren. Was wohl in den Zeitungen stünde, wenn es solch einen Dampfer treffen würde. Aber es sind die kleinen überladenen Boote, die untergehen. Keine Passagierliste verzeichnet die Menschen, keiner die Toten.

Sie sind Zeugen, die Flüchtlinge auf Malta – und vielen geht es schlecht damit. Traumata zerstören ihre Seelen, Sie sind gezeichnet. Doch niemand, der es hören mag, keiner der das versteht. Das Mount Carmel Hospital, eine altertümliche Psychiatrieklinik, bleibt für die meisten oft der einzige Ausweg und Tabletten die einzige Antwort. Etwas vor sich hin dämmern, der einzige Ruhepol.

Und wir?

Wir hier in der Mitte Europas? Viele betäuben sich auch bei uns mit immer mehr: mehr Fernsehen, mehr Ablenkung, mehr Konsum… Die Zahlen der Spielsüchtigen, Computersüchtigen, der Gestressten, der Depressiven, der Menschen mit Burn-out steigen. Die Leere hat auch bei uns ihren Preis: Auch hier frisst der Konsum, das Ideal der Leistung, der Stärke unsere Seelen.

Dabei wird keine Ablenkung uns helfen, wenn wir die Realität einmal gesehen haben – wenn wir mit Jesu Augen sehen, wenn wir glauben, dass ein anderes Leben möglich ist, und wir die Geschwister im Gegenüber, im Fremden, im Flüchtling erkennen.

Doch die Ersten der Zeugen halten es nicht mehr aus. Wie kann es Milliarden für marode Banken geben, Milliarden für einen Rettungsschirm und niemand hilft den Hungernden da, wo es Not tut?!

Sagen, was ist. Das meint Zeuge sein. Aufzeigen, was ist und deutlich machen, wir werden da nicht schweigen.

Manchmal, manchmal fühle ich mich ohnmächtig und leer. Manchmal fühle ich mich gelähmt und kraftlos. Manchmal fehlen die Worte im Angesicht der Gräber, inmitten der Verstummten, bei all diesen Flüchtlingen.

Im April war ich bei einer muslimischen Beerdigung eines Flüchtlings auf Malta dabei. Zwei Tage später wurde eine tote äthiopische Frau eines Bootes christlich begraben.

Opfer machen vor Religionen nicht halt.

Die Ohnmacht ist ein Ort, der gefährlich ist. Ein Ort, wo man sich niemals depressiv einrichten darf, um dann wunschlos unglücklich zu werden. Ohnmacht, die Lethargie, die Antriebslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit, das Zerschellen jeder Zukunft – in den Lagern ist sie zu spüren, und man wird leicht angesteckt davon.

Aber Ohnmacht ist auch ein reinigender Ort, der die eigene angebliche Mächtigkeit zerlegt und die eigenen Wünsche hinterfragt.

In der Ohnmacht, dort im Reich des Todes geschieht es, dass die Menschen sich zur Auferstehung bereit machen. Und wir tun gut daran, dazuzugehören, mit ihnen unser Leben zu teilen.

 

Ich glaube einen Gott, der einem an diesem Ort der Ohnmacht begegnet, der einem aufhilft und befreit von unserem üblichen Egoismus; einen Gott, der heilt und Kräfte verleiht, da wo man es nicht zu ahnen wagte.

 

Ich glaube an Jesus Christus, der das vorlebte – die Liebe zu allen Menschen, der das Teilen als Fest feierte und aussprach, was ist. Der selbst die Ohnmacht am Kreuz erfuhr und gerade darum Recht behielt. Der mit seiner Auferstehung verdeutlicht, dass der Tod nicht das letzte Wort behält, sondern die Liebe stärker ist.

 

Ich glaube an den heiligen Geist, der für uns eintritt mit unaussprechlichen Seufzern, die wir hören können, wenn wir es wollen, die zu uns dringen von diesen Orten der Welt und auf uns warten. In die wir einstimmen, wenn wir das Leid an uns heranlassen.

Ich glaube an die Geistkraft, die kommt und uns zu Worten verhilft und uns inspiriert, damit wir Ideen entwickeln.

 

Und dann geschieht es, dass die Menschen sich verstehen, im Händedruck, beim Tanz, beim wärmenden Tee. Wir brauchen die Öffnung unserer Herzen und Grenzen, nicht immer und überall, aber zu diesen ganz konkreten Menschen.

Jetzt kommen sie an, die Menschen, die Deutschland aus Malta aufnimmt. Familien aus Eritrea und Äthiopien, die gerade jetzt im Frühjahr auf Malta ankamen. 150 nimmt Deutschland auf. Viel zu wenige, denn es sind Tausende die warten, Hunderte, die einfach nur von der Insel weg wollen.

Dublin II, das System, Menschen, wie Pakete in Europa herumzuschieben, immer dahin, wo sie angekommen sind – und sie nicht ankommen zu lassen, da wo Familie und Freunde auf sie warten – Dublin II muss ein Ende haben!

 

Übrigens: es dürfen ganze zwei Personen nach Hamburg jetzt aus Malta. Diese sollten wir willkommen heißen. Gestalten wir doch wieder so etwas wie Gastfreundschaft und seien wir Integrationslotsen, um Menschen unsere Kultur, das Leben in Deutschland nahezubringen. Kleine Zeichen helfen schon.

Und stellen wir uns schützend vor die, die zurück sollen – es macht überhaupt keinen Sinn!

 

Und die unter uns, die das nicht vermögen, mögen uns doch in ihre Fürbitten einschließen. An uns alle denken: an die, die da sind, an die Toten, die ein Leben und Zukunft wollten und an die, die ihr Bestes versuchen.

 

Denn Beten hilft. Es hilft, die Herzen vorzubereiten und Gottes Stimme hören zu können, Jesu Vermächtnis zu begreifen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“

Leben wir – miteinander, nicht gegeneinander und seien wir Zeugen für dieses Leben.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herze und Sinne in Christus Jesus. Amen.



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