Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Wir haben die Wahl!

von Dietrich Gerstner / September 2002

Wählen oder Nicht-Wählen bei der nächsten Bundestagswahl - das ist nicht die Frage. Sondern ob / dass wir eine verantwortungsvolle Wahl treffen.

Die Wahlkampfmaschinerie läuft seit Monaten auf Hochtouren. Von überlebensgroßen Plakaten lächeln mir zuversichtlich dreinblickende PolitikerInnen entgegen, Werbespots im Radio und Fernsehen beschallen mich den halben Tag mit Weisheiten irgendwelcher Kompetenzteams, jegliches politische Ereignis wird vor dem Hintergrund der bevorstehenden Bundestagswahl betrachtet. Wohl inszenierte Rededuelle der Spitzenkandidaten der "großen" Parteien im Fernsehen vermitteln eine Atmosphäre von Bedeutsamkeit. Und das Wählen als solches wird von allen Parteien zur höchsten demokratischen Bürgerpflicht erklärt. Als ob es einen grundsätzlichen Unterschied machen würde, welchen der Köpfe ich wähle.

Wenn ich aber eine persönliche Bilanz der letzten vier Jahre ziehe, dann stelle ich enttäuscht fest, dass es bei den Themen, die uns hier bei Brot & Rosen bewegen, auch mit der vorherigen Regierung kaum hätte schlimmer kommen können: Das gilt u.a. für das kürzlich verabschiedete Zuwanderungs(verhinderungs)gesetz, für die kriegerische Außenpolitik Deutschlands wie auch für den zu lange hinaus gezogenen Atomausstieg.

 

Wählen oder Nicht-Wählen

Da ist es kein Wunder, dass Aufrufe zum Wahl-Boykott durchs Land geistern. Aus Resignation über die verloren gegangenen Hoffnungen wird dazu aufgerufen, den herrschenden PolitikerInnen einen Denkzettel zu verpassen. Andere halten dagegen und sehen darin die Verabschiedung aus der Politik und aus der Verantwortung für die Gestaltung des Gemeinwesens.

In der Tradition der Catholic Worker-Bewegung stehen wir bei Brot & Rosen in einer ohnehin grundsätzlich kritischen Distanz zur institutionalisierten Politik und ihren Ritualen, frei nach dem anarchistischen Motto "Wer seine Stimme abgibt, hat nichts mehr zu sagen." Im Catholic Worker - Jargon klingt das so: "Vote with your body and not with your ballot", was so viel heißt wie: "Triff die Wahl mit Deiner Lebensweise und nicht mit Deinem Stimmzettel." Das bedeutet für mich: Wählen oder nicht wählen, das ist nicht die Frage. Viel mehr ist es die Aufgabe von uns allen zu erkennen, dass wir und wie wir mit unserem Leben eine verantwortliche Wahl treffen. Wir haben die Wahl!

Gesellschaftliche und politische Mitgestaltung beginnt und endet nicht mit der Stimmabgabe bei der Bundestagswahl. Relevanter sind für mich die vielen kleinen und großen Entscheidungen, die wir täglich treffen. Es ist die Wahl des Lebensstils, die den wesentlichen Unterschied ausmacht. Unser Leben als solches ist politisch! Aus unserem Leben bei Brot & Rosen will ich Euch und Ihnen hier ein paar Anregungen geben, was ich damit meine. Mir ist klar, dass wir als Lebensgemeinschaft einen spezifischen Lebensstil haben. Dennoch kann mensch viele der Grundideen, die wir praktizieren, leicht auf andere Lebenssituationen übertragen.

 

Gemeinschaftliches Leben

Wir sind eine christliche Lebensgemeinschaft mit momentan fünf Mitgliedern. Weitere Menschen teilen für eine Weile unser Leben und arbeiten im Haus mit. Für unseren Lebensunterhalt arbeiten wir zum Teil auch außerhalb des Hauses. Das Einkommen legen wir dann zusammen. Statt "Haben" ist für uns das Teilen von Zeit, Geld und Gaben untereinander und mit anderen wesentlich. Dies ist sicherlich auch in vielen anderen Lebenssituationen möglich, sei es durch die gemeinsame Nutzung eines Autos oder eines Gartens mit NachbarInnen, durch die Teilnahme an einem Tauschring usw. usf.

 

Solidarisches Leben

Flüchtlinge werden ihrer Rechte beraubt, in die Illegalität gedrängt und deportiert. In unserem "Haus der Gastfreundschaft" nehmen wir Flüchtlinge ohne bürokratische Hürden auf und unabhängig von ihrem sozialrechtlichen Status. Sie finden bei uns ein "Zuhause auf Zeit", um durchatmen zu können und neue Perspektiven zu entwickeln. So leben Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen unter einem Dach und teilen den Alltag miteinander. Wir essen gemeinsam, leiden mit und feiern Feste. Neben der praktischen Solidarität mit den Menschen in unserem Haus engagieren wir uns in der lokalen Flüchtlingsarbeit, indem wir vom Café Exil aus Flüchtlinge bei ihrem Gang zur Ausländerbehörde beraten und begleiten. Die weltweite Not erhält so im Alltag ein persönliches Gesicht. Ich denke mir, solch konkret praktizierte Solidarität ist überall möglich, z.B. durch die Mitarbeit in Gruppen, die Abschiebehäftlinge oder Menschen in Flüchtlingsunterkünften besuchen oder die ein Kirchenasyl betreuen. Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten, sondern hier und jetzt das Mögliche zu tun.

 

Einfaches Leben

Wir bemühen uns, einfach und mit wenig Geld zu leben. Dies wird durch das Miteinander-Teilen sicherlich erleichtert. In einem großen Haushalt verbrauchen wir als Einzelne weniger Energie und Ressourcen, als wenn wir alleine oder als Kleinfamilien leben würden. Entgegen der Wachstums- und Konsumorientierung unserer Gesellschaft sagen wir außerdem: Es muss nicht alles neu gekauft werden! Im Haushalt leben wir wesentlich von dem, was die Gesellschaft abgelegt oder weggeworfen hat - also aus zweiter Hand. Wir haben kein eigenes Auto und versuchen, möglichst viele Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder per Fahrrad zurückzulegen. Zwar verbrauchen wir nach wie vor eine Menge Strom in unserem Haus, aber das ist immerhin kein Atomstrom mehr. Als VerbraucherInnen machen wir von der neuen Möglichkeit Gebrauch, "Naturstrom" aus weitgehend regenerativen Energiequellen einzukaufen.

 

Basisdemokratisches Leben

Damit wird unser Politikverständnis sowohl nach innen wie nach außen beschrieben. Unsere Entscheidungen in der Gemeinschaft treffen wir per Konsens. Uns ist es wichtig, dass Entscheidungen, die alle angehen, auch von allen mit getragen werden. Damit vermeiden wir die Nachteile der üblichen Mehrheitsentscheidungen, bei denen die Minderheit wohl oder übel hinnehmen muss, was eine oftmals auch schnell und mit oberflächlichen Argumenten beeinflusste Mehrheit entschieden hat. Nicht alles, was eine demokratisch gewählte Regierung entscheidet, ist damit auch legitim. Darum beteiligen wir uns auch an Demonstrationen und gewaltfreien Aktionen u.a. für die Rechte von Flüchtlingen, gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr und gegen Atommülltransporte.

Regelmäßig laden wir zu Diskussionsabenden in unser Haus ein, um gemeinsam besser zu verstehen, wie eine Gesellschaft entstehen kann, die sich an sozialer Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung orientiert.

Unser hier von mir skizziertes Politikverständnis gründet letztlich im Glauben an den Gott, dessen Reich dort anbricht, wo Befreiung geschieht. Als ChristInnen sind wir aufgerufen, unser Leben am Reich Gottes auszurichten und nicht an den Mächten dieser Welt und ihrem Politikstil. Von ihnen sagte Jesus einst entlarvend:

"Ihr wisst: Die Herrscher der Völker, die Großen in der Welt, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren. Bei euch muss es anders sein! Wer von euch etwas Besonderes sein will, soll den anderen dienen, und wer von euch an der Spitze stehen will, soll sich allen unterordnen." (Matthäus 20, 25-27).

Es gibt viele andere Beweggründe und Möglichkeiten, politisch engagiert zu leben und Verantwortung für die Gestaltung der Gesellschaft zu übernehmen. Das Motto für den diesjährigen Tag des Flüchtlings am 4. Oktober lautet: "Flüchtlinge haben keine Wahl." Aber wir haben sie. Ob wir nun bei der Bundestagswahl wählen gehen oder uns einer Wahlboykott-Kampagne anschließen - wählen wir das Leben!



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