Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Tanz des Lebens

Statt "helau" und "alaaf": "moin, moin" - Lichtgestalten und Schattenwesen beim Brot & Rosen-Fasching

Feti Dumandag (5.5.1974 - 15.2.2009)

von Dietrich Gerstner / März 2009

„A bad dance doesn’t kill the earth, not to dance kills the spirit. “
Ein schlechter Tanz tötet die Erde nicht, nicht zu tanzen tötet den Geist.

Mit diesem Spruch aus West-Afrika ermutigte Hector Aristizabal in seinen Workshop-Seminaren die TeilnehmerInnen immer wieder, Tanz als eine Lebensäußerung zu sehen, die in uns allen steckt und die uns allen gut tun kann. Unser Körper speichert schwierige, überfordernde, traumatisierende Erfahrungen. Und ebenso kann unser Körper zur Verarbeitung und Heilung solch belastender Erinnerungen beitragen.

Hector Aristizabal – Schauspieler, Psychotherapeut und Folterüberlebender – leitete fünf Tage lang Workshops zum „Theater der Unterdrückten“. Nach der intensiven Erfahrung bei unserem Offenen Abend mit Hector im April 2008 hatten wir ihn wieder nach Hamburg geholt, um mehrere Tage mit verschiedenen Gruppen zu arbeiten, u.a. in Schulklassen. Am intensivsten erlebte ich die Arbeit beim Wochenendworkshop in Hamburg-St. Georg mit einer sehr gemischten Gruppe: MigrantInnen der „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge“, MediatorInnen, eine Entwicklungshelferin, Studierende, SozialarbeiterInnen etc. So musste zwar mehrfach übersetzt werden, was der gemeinsamen Arbeit aber keinen Abbruch tat. In kürzester Zeit entstanden Bilder und Szenen innerer und äußerer Unterdrückung sowie Schritte zur Befreiung daraus. Und das alles in spielerischer Atmosphäre – das miteinander Tun und Erleben standen im Vordergrund, nicht das bei uns sonst übliche Reden. Und wir tanzten, schüttelten belastende Gefühle ab, entdeckten einen gemeinsamen Rhythmus und bewegte Ausdrucksformen für das Leben in uns. Nach den inspirierenden Erfahrungen der gemeinsamen Arbeit mit Hector wollen wir ihn nächstes Jahr für ein längeres Trainingsseminar nach Hamburg holen. Hector Aristizabal war für mich ein großartiger Lehrer für meine eigene Seminararbeit als „Konflikttrainer“ und im Zusammenleben und –arbeiten mit Menschen, die schwere Erfahrungen am eigenen Leib tragen und zusätzlich gesellschaftlich ausgegrenzt werden.

Todesfälle …

Mitte Dezember hatten wir als „Notaufnahme“ einen Mann aus Elfenbeinküste bei uns aufgenommen, da er kurzfristig keine Bleibe hatte. Er hatte zuvor studiert in Deutschland, war politisch sehr engagiert für die Veränderungen in seinem Heimatland, aufenthaltsrechtlich hatte er keine Probleme. Aber er war seelisch erkrankt – wie sehr, das wurde uns erst nach und nach klar. Vor allem sah er sich von dunklen Kräften verfolgt. Als es über die Feiertage im Haus sehr ruhig wurde, die Tage nur noch wenig Struktur zu bieten hatten und die ÄrztInnen nicht erreichbar waren, da verlor unser Freund offenbar seinen letzten Halt: In einem Anfall von Verfolgungswahn griff Fofana unseren Mitbewohner André an, den er verdächtigte ein Geheimdienstagent zu sein. Nach einem schweren Handgemenge kam zum Glück Mohammed André zu Hilfe, ansonsten wäre das schlimmste zu befürchten gewesen. Ilona rief die Polizei, da abzusehen war, dass Fofana sich nicht beruhigen würde. Dieser Schritt fiel Ilona nicht leicht, war es doch bisher ein Tabu, die Polizei ins Haus zu holen. Diese brachte Fofana zur Psychiatrie, wo er allerdings nicht bleiben wollte. Erfreulicherweise brachte er kurz darauf seinen Schlüssel bei uns vorbei, wobei wir ihm allerdings sagen mussten, dass er wegen der Gewalt nicht mehr bei uns wohnen könne. Einige Wochen später war Fofana tot. Sein Leichnam wurde an einer Hauptverkehrsstraße in Hamburg gefunden – erstochen und mit Verletzungen von einem tiefen Fall von einer Brücke auf die Straße. Die Polizei geht laut Zeitung von einem Selbstmord aus. Wir trauern um ihn. Möge seine verwundete und unruhige Seele nun ihren Frieden finden!

Weniger dramatisch doch ebenfalls traurig war der Tod unseres ehemaligen Mitbewohners Feti Dumandag. 1997 / 98 hatte er bei uns gelebt, nachdem er aufgrund einer Hirn-OP mit dem Lärm auf den Wohnschiffen für AsylbewerberInnen nicht mehr klar kam. Nach seinem Auszug bei uns folgte noch eine lange aufenthaltsrechtliche Odyssee. Zum Glück fand er während dieser Zeit in Blankenese in der Ev. Kirchengemeinde und im Stadtteil eine echte Heimat. Menschen vom „Runden Tisch Blankenese – Hilfe für Flüchtlinge“ setzten sich engagiert für ihn ein und erwirkten zuletzt eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen für ihn. Im September 08 trat erneut ein Hirntumor auf – dieses Mal inoperabel. Traurigerweise bekam er den Aufenthaltstitel selbst nicht mehr zu sehen, wusste allerdings von seiner Betreuerin Helga Rodenbeck davon. Uta und ich konnten Feti zum Glück wenige Tage vor seinem Tod im Hospiz in Altona besuchen und von ihm Abschied nehmen. Seine stille Heiterkeit trug ihn bis in den Tod. Mit einer christlich-islamischen Beerdigungsfeier wurde Feti am 27.2. in Blankenese beigesetzt.

… und Neuaufbrüche

In der Hausgemeinschaft ist auch ansonsten eine Menge Bewegung: Unsere palästinensische Familie zog Anfang des Jahres gemeinsam in eine städtische Wohnunterkunft für Flüchtlinge. Mohammed war 18 Monate zuvor alleine bei uns eingezogen – als Familienvater verließ er uns. Hin und wieder bekommen wir sie zu sehen, und wir wünschen ihnen Glück für die nächsten Schritte.

Dalal und Jianna stehen ebenfalls kurz vor dem Auszug. Nach ihrer Anerkennung als Asylberechtigte (!) hat Dalal nun wieder die Schule aufgenommen und arbeitet mit Eifer an ihrem Realschulabschluss. Jianna geht derweil vergnügt in den Kindergarten. Immerhin ziehen die beiden nur einen Block weiter. Hoffentlich werden wir weiterhin in so gutem Kontakt bleiben.

Auch bei André ist endlich Land in Sicht! Nachdem die Behörden anerkannt haben, dass er direkt durch behördliches Handeln (wiederholte widerrechtliche Abschiebeversuche) geschädigt wurde, erhielt er zunächst eine langfristige Duldung und hoffentlich auch weitergehend eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, um sich psychotherapeutisch und medizinisch behandeln lassen zu können. Wir drücken ihm alle Daumen, erleben wir doch, wie sehr er unter der Ungewissheit leidet und wie viel Lebensenergie dadurch verschüttet wird.

Vernetzt

Jessica arbeitet wöchentlich im Café Exil mit und beteiligt sich an einer seit Herbst 08 bestehenden Gruppe „Seelsorge in der Abschiebungshaft hier in HH-Fuhlsbüttel. Ilona unter<meta name="ProgId" content="Word.Document" /><meta name="Generator" content="Microsoft Word 11" /><meta name="Originator" content="Microsoft Word 11" />stützt für Brot & Rosen die Gruppe „Gästewohnungen helfen“, wo ebenfalls Flüchtlinge / MigrantInnen auf Zeit eine Bleibe finden können. Und Christiane bringt ihr Engagement und Fachwissen als Krankenpflegerin in die Arbeit des „Medibüros“ ein, wo Flüchtlinge ohne geregelten Aufenthaltsstatus konkrete Hilfe bei gesundheitlichen Problemen erhalten.

Dazu kamen wieder einige KonfirmandInnen-Gruppen ins Haus. Für die Konfis aus der Region Barmbek-Nord gestalteten Jessica und ich gemeinsam mit Pastor Hanno einen kompletten Tag und den anschließenden Gottesdienst am Sonntag zu den Themen „Gastfreundschaft – auf der Flucht sein“.

In Bewegung

Damit uns beim Tanz an all diesen Schauplätzen die Luft nicht ausgeht, ist es gut, dass wir uns immer wieder stärken und mittendrin das Leben feiern.

Dank der Energie von Jessica feierten wir am Faschingssamstag eine kleine, feine Party in unserem Haus. Es kamen zwar nicht viele Gäste von außen – vielleicht liegt das auch an unserem fortschreitenden Lebensalter, vor einigen Jahren waren unsere Faschingsfeten besser besucht! – getanzt und amüsiert haben wir uns dennoch.

Nun fahren wir für einige Tage zur Kommunität Imshausen, um uns dort auf unser jährliches Osterversprechen vorzubereiten, Kraft zu tanken und über mögliche Veränderungen nachzudenken.

„Veränderung“: Diese Frage beschäftigt uns in der Gemeinschaft seit einiger Zeit: Nicht nur, dass Veränderungen von Anfang an ein prägender Bestandteil unseres Lebens im Haus der Gastfreundschaft waren. Sondern eher auf der Ebene: Wie gestalten wir bewusst Veränderungsprozesse?

Sind unsere gemeinschaftlichen Strukturen nach all den Jahren noch stimmig? Wie geht es uns nach über 12 Jahren hier in unserem Haus in der Fabriciusstraße? Wären eventuell räumliche Veränderungen angesagt, die uns mehr Spielraum für Veränderungen in der Gemeinschaftsgröße und in den persönlichen Lebenssituationen ließen?

Und vielleicht sind es ja eher innere Veränderungen auf der persönlichen bzw. auch auf der gemeinschaftlich-strukturellen Ebene? Wir sind am Suchen und strecken unsere Fühler nach verschiedenen Seiten aus.

Nach dem Rückblick über 13 Jahre gemeinschaftlicher Geschichte mit dem Jubiläumsheft „Mehr als 50“, schauen wir nun mehr nach vorne. Wir wollen uns weiterhin auf den Tanz des Lebens einlassen!



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...