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"Entrüstet Euch" - "Streit!"

von Lutz Krügener / September 2017

Diese Predigt hielt der Pastor und Friedensreferent der der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers, Lutz Krügener, am 14. Mai 2017 in der Friedenskirche in Unterlüß. Der Ort liegt in der Südheide zwischen Hamburg und Hannover und ist Standort des größten Werks der Rüstungsfirma Rheinmetall in Norddeutschland. Nach dem Gottesdienst fand eine Demonstration statt. Am nächsten Tag wurden die Werkstore vom Jugendnetzwerk für politische Aktion gewaltfrei blockiert, um die Rüstungsproduktion zumindest an diesem Tag zu stören. Wir geben die Predigt leicht gekürzt wider.

„Der Friede des Herrn sei mit euch allen.“ Liebe Gemeinde: „Entrüstet euch!“ – ist das Motto dieses Gottesdienstes. „Streit!“ – So das Motto der diesjährigen FriedensDekade. Beides passt heute zu diesem Gottesdienst und den Aktionstagen in Unterlüß.

Der Duden definiert Streit als: „heftiges sich Auseinandersetzen“, und mit Wikipedia können wir erweitern: „oft auch von emotionalen Elementen begleitet.“ Wir sprechen von „einer notwendigen Streitkultur“, dem „Rechtsstreit“ und vielem mehr. Streit ist vielfältig, notwendig, kann konstruktiv sein und voranbringen, und streiten will gelernt sein. Dieses rechte Streiten ist wichtig an diesem Wochenende in Unterlüß und natürlich weit darüber hinaus.

Jesus war ein leidenschaftlicher Streiter, davon werden wir heute noch hören. Allein im Lukas-Evangelium finden sich mindestens 50 Stellen, wo Jesus in ein Streitgespräch einsteigt oder einen Streit erregt. Er streitet schon als Kind mit den Eltern, übrigens das einzige, was wir aus der Kindheit wissen: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht,…?“. Später mit seinen Gegnern: „Weh euch Reichen,... Weh euch, die ihr jetzt lacht,...“. Er streitet für Gewaltlosigkeit: „Wer das Schwert nimmt, der wird durchs Schwert umkommen!“ und mit den Mächtigen: „Geht hin und sagt zu diesem Fuchs...“ - so zu Herodes.

Jesus entrüstet sich auch, hier über die Pharisäer, und damit auch über uns: „Ihr haltet die Becher und Schüsseln außen rein; aber euer Inneres ist voll Raub und Bosheit.“ (Lk 11,37ff)

Jesus schreitet vehement ein, als einer seiner Jünger das Schwert zieht: „Lass ab! Nicht weiter!“ (Lk 22,51) Und er heilt den vermeintlichen Feind.

Sich entrüsten – auch streiten ist also durchaus im Sinne von Jesus und notwendig, wenn wir vorankommen wollen. Fast jeder Fortschritt musste erstritten werden.

Wann müssen auch wir streiten? Wofür sollen wir streiten? Wie streiten wir für den Frieden? Diesen Fragen möchte ich heute nachgehen und durch Gottes Wort Orientierung für unser Zusammenleben und unseren Streit erbitten.

Zahlen, Daten, Fakten

Deshalb an dieser Stelle kurz auch Politisches und Zahlen und Gedenken an Tote, die mich entrüsten. Wir müssen da durch, bevor ich wieder theologisch werden darf: Ich mache bewusst eine sog. „Milchmädchenrechnung“ auf, denn die Milchmädchen waren in besonderer Weise darauf angewiesen, dass am Abend ihre Kasse stimmte.

Die Militärausgaben betragen weltweit: 1.6 Billionen Dollar. Eine Milliarde sind 1.000 Millionen und wir sprechen hier von 1.600 Milliarden!
Auf dieser Welt leben immer noch ca. 800 Millionen Hungernde – 10mal die Einwohnerzahl von Deutschland. Jeder könnte 2.000 Dollar pro Jahr bekommen, in ihrer Situation eine unvorstellbar hohe Summe. Alle könnten Schulen besuchen, eine Ausbildung machen... Niemand müsste mehr hungern. Und Hunger ist immer noch einer der wesentlichen Gründe für Flucht. Nach der Weltgesundheitsorganisation sind ca. 15 Millionen Menschen deswegen auf der Flucht.
Deutschland strebt eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 % des BIP (Bruttoinlandsprodukt) an. Eine Erhöhung um 25.000 Millionen – jährlich! Was könnten wir alles dafür tun, um für den inneren Frieden, für mehr Gerechtigkeit, fürs Klima etc. zu sorgen.

Rüstungsexporte: Die Zahl der globalen Waffentransfers ist im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 gegenüber dem vorangegangenen Zeitraum (2006 bis 2010) um 14 Prozent gestiegen. Der deutsche Anteil am weltweiten Waffenhandel zwischen 2011 und 2015 liegt nach Angaben von SIPRI bei 5 Prozent. Damit liegt Deutschland auf Platz fünf der Welt. An sog. Drittstaaten wurden 2015 Ausfuhren in Höhe von 4,621 Milliarden Euro genehmigt, dies entspricht 59 Prozent aller erteilten Ausfuhren. Rheinmetall ist einer der größten Akteure und Profiteure. Das alles sind Zahlen, die mich aufregen, mich empören.
Wie viel mehr aber noch die Schicksale, die Menschen, die davon betroffen sind: All die, die in Hunger leben müssen; die über 500.000 Menschen, die jedes Jahr durch Kleinwaffen getötet werden; all die Toten der Kriege, die durch Aufrüstung angeheizt werden, zu keinem Ende kommen und eskalieren.

Und auch hier bei uns eine Kehrseite der fehlenden Mittel: z.B. die Menschen, die keine preiswerte Wohnung finden, da für den Bau von Sozialwohnungen angeblich kein Geld da sein soll; die Kinder, die nicht entsprechend gefördert werden können, da angeblich Geld fehlt; die Innovationen, die nicht getätigt werden können usw. usw.

Hier etwas zu ändern, dafür lohnt es sich zu streiten! Dafür muss gestritten werden.

Denn es werden unfassbare Summen und Ressourcen verbraucht – auch an menschlicher Intelligenz und Gestaltungsfähigkeit. Manchmal geschieht dies schlicht aus Geldgier und Machtgier. Oft aber auch, weil man meint, nur so den Frieden sichern zu können, nur so sei ein Krieg zu vermeiden, also aus vermeintlich guten Gründen. (...) Wir bräuchten all die Waffen, damit Friede wird! Muss das wirklich sein? Geht diese Position nicht an der Realität vorbei?

Die Evangelische Kirche vertritt hier eine andere Position: Die EKD-Denkschrift von 2007 stellt kurz und klar fest: „Rüstungsexporte tragen zur Friedensgefährdung bei.“ (S. 100) Wenn dem so ist, dürfen wir sie nicht einfach hinnehmen. Die Synode der Landeskirche Hannovers bekennt in ihrem Friedenswort: „Die weltweiten Rüstungsexporte, an denen Deutschland einen hohen Anteil hat, sind eine zentrale Voraussetzung und ein starker Antrieb für kriegerische Auseinandersetzungen. Die Erhöhung der weltweiten Ausgaben für Rüstung und Militär ist ein Irrweg, der verlassen werden muss.“ Klare Worte – dafür müssen wir auch streiten, und einsetzen!

Hier in Unterlüß ist das schwer. In den Details muss differenziert werden, was hier in der Predigt nicht geht. Ich entschuldige mich dafür auch an dieser Stelle bei allen, die jetzt meinen, meine Gedanken seien zu einseitig, zu undifferenziert. Vielleicht ist im Anschluss in einem Gespräch mehr Zeit zum Differenzieren, manchmal muss man aber auch parteiisch sein. (...)

Hier in Unterlüß sind so viele gut ausgebildete Menschen, die ihre Fähigkeiten einsetzen könnten für Ingenieurleistungen, die wir dringend bräuchten. Konversion wäre gefordert, hier sollten wir als Kirche unterstützen. Aber um dies anzustoßen, müssen wir auch streiten, denn von allein wird nichts geschehen. Ich persönlich mag keinen Streit, weiß aber, dass dieser notwendig ist, wenn wir etwas verändern wollen.

Also wie streiten? So, dass meine Meinung klar und unmissverständlich sichtbar wird, so dass ich Unrecht nicht hinnehme, dass ich auf Veränderung ziele, aber ohne dass ich mein Gegenüber als Mensch abwerte. So, dass wir in einer Kirchengemeinde, auch bei unterschiedlichen Positionen, am Ende gemeinsam das Vaterunser beten können. Wenn uns diese Haltung im Kleinen gelingt, wir sie einüben, dann kann es eine Haltung sein, die ich mitnehme in die großen Auseinandersetzungen, auch auf die politische Ebene.

Das Vorbild Jesu

Damit bin ich wieder bei Jesus, der genau diese Haltung lebt. Ich denke, er macht uns vor, wie gestritten werden kann und muss. Er hat seinen Jüngern in kurzen Sätzen deutlich gemacht, wofür es sich zu streiten lohnt und wie gestritten werden kann. Heute will ich nur einen Satz nennen: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann biete ihm auch die andere dar!“

Dieser Satz von Jesus ist vielleicht der provokanteste, den wir in der Bibel hören. Jesus spricht aber nicht von Passivität oder gar Unterwerfung, sondern von einem harten Streit mit einem Mächtigeren, von einem Streiten mit einem Gewalttäter. Es bedeutet gerade nicht, alles zu erdulden, sondern genau das Gegenteil: Nichts tun ist in einem Konflikt, wo Menschen Leid angetan wird, keine Option, nicht im Privaten und nicht im Politischen. Der Schlag ist der Schlag des Herrn gegen den Knecht. Es ist der Schlag mit der Rückhand, die Erniedrigung. Jesus sagt: Wenn du so geschlagen wirst, wenn du so erniedrigt und gedemütigt wirst, wehre dich.

Jesu ZuhörerInnen wussten damals genau, was er meinte: „Habe Mut, drück dein Rückgrat durch, leiste Widerstand, nimm Unrecht nicht hin. Halt die andere Wange hin und dadurch wehrst du dich.“ Dies sind die Ursprünge des gewaltfreien Widerstandes: Wir nehmen Unrecht nicht hin, lassen uns nicht unterdrücken! Dagegen wird sich mit den Mitteln, die möglich sind, zur Wehr gesetzt: gewaltfrei, mutig, fantasievoll. Es ist also hohe Aktivität, die Jesus hier seinen Hörern mit auf den Weg gibt und eine Haltung, die viel Mut erfordert.

Auch unser Gegenüber, der Gewalttäter, soll mit in die Veränderung hineingenommen werden. Er kann erkennen: Was tue ich hier eigentlich! Er kann dies erkennen, da ich ihn als Mensch nicht abwerte, nicht klein mache und schon gar keine Gewalt anwende. Es geht nicht um die Demütigung oder gar Vernichtung des Gegners, auf die Gewalt und Krieg zielt. Aber es geht darum, Unrecht nicht hinzunehmen, ohne selber Gewalt und Unrecht zu tun.

So kann ein gemeinsamer Weg der Veränderung entstehen! Der eine spürt: Ich habe Möglichkeiten, ich muss Unrecht nicht hinnehmen und der andere lernt: Warum tue ich eigentlich dieses Unrecht und wie könnte ich anders handeln. (...)

Jesus gibt Mut zum Widerstand und Mut zur Veränderung. Dem Gewaltopfer eröffnet sich neues Selbstbewusstsein, dem Täter tritt seine Tat vor Augen. Das ist das Evangelium, die Frohe Botschaft: Veränderung ist möglich und nötig, wenn wir in einen bewussten Streit eintreten und diesen gewaltfrei austragen.

Was heißt das hier in Unterlüß?

  • Unrecht widersprechen z.B. wenn Waffen nach Saudi-Arabien geliefert werden sollen oder jetzt eine Panzerfabrik in der Türkei errichtet werden soll! Wenn ohne Rücksicht auf Leben und Opfer nur die Entwicklung der Aktie zählt oder die Stärkung der eigenen strategischen Position.
  • Aber den „Gegner“ in die Veränderung einbeziehen: Vielleicht eine gemeinsame Gesprächsebene finden, dann gemeinsam Ideen entwickeln, wie Veränderung (Konversion) möglich ist.
  • Das kann auch ein mögliches Ergebnis sein: Wir sind Gegner, bleiben das auch, da die Standpunkte zu verschieden sind, aber schaffen es dennoch, uns nicht als Menschen abzuwerten. (...)
  • Können wir anerkennen, dass die Menschen, die morgen die Tore blockieren wollen, dies aus guten Gründen tun? Dass sie etwas für diesen Ort tun wollen und nicht dagegen? Kann das anerkannt werden, auch wenn man es selbst anders sieht? So wie es mit der Verleihung des Aachener Friedenspreises für die Gruppe JunepA anerkannt wurde.
  • Können wir so streiten, dass wir am Ende, wie heute, noch das Vaterunser gemeinsam beten? Wie Jesus, der leidenschaftliche Streiter, der Pazifist, der konsequent seinen Weg gegangen ist, die Versöhnungsbereitschaft bis zuletzt gelebt hat und noch am Kreuz sprach: „Vater vergib Ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!“

Vielleicht lernen wir ja doch noch zu wissen, was wir tun und tun sollten. Amen



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