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Auf "Familien"besuch

Frühstück im St. Francis Catholic Worker, Columbia, Missouri

Jonas in der Suppenküche der Open Door Community, Atlanta, Georgia

von Birke Kleinwächter / September 2010

Von Anfang Juli bis Anfang August besuchten Birke, Jonas und Lea-Susanna Kleinwächter diverse Catholic Worker-Gemeinschaften in den USA.

Ein langgehegter Plan, einige der Catholic Worker (im folgenden CW)-Geschwister-Gemeinschaften in den USA zu besuchen, wurde von uns endlich umgesetzt. In 4 Wochen legten wir über 4000 km zurück und besuchten die Open Door Community in Atlanta / Georgia, Nashville Greenlands in Tennessee, das Carl Kabat House in St. Louis / Missouri, St. Francis in Columbia / Missouri, Strangers & Guests in Maloy / Iowa und Mannah House in Memphis / Tennessee.

Es war in der Tat wie ein Verwandtenbesuch: Einige der Tanten und Onkels, Cousins, Cousinen oder eben Geschwister kannte man schon, zu anderen wurde der Kontakt hergestellt, und mit der Identifizierung „from the CW in Germany“ waren wir auch bei bislang fremden „Verwandten“ willkommen.

Die CW-Familie zeichnet sich durch ihre große Vielfalt bei gleicher Gesinnung aus. Die Identifizierung „Ich bin Catholic Worker“ reicht dabei aus, um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu erzeugen. Und wie der gemeinsame Nachname einer Verwandtengruppe nicht bedeutet, dass alle komplett gleich sind, so erlebt man auch in den verschiedenen CW-Häusern die unterschiedlichsten Ausprägungen.

Da gibt es Häuser, die Obdachlosen helfen oder Flüchtlingen oder aber den eigenen CW-Verwandten, die sich beispielsweise auf dem Land und bei körperlicher Arbeit erholen können. Es gibt Gemeinschaften, die unter einem Dach leben, zum Teil unter einem Dach oder gar nicht unter einem Dach. Die einen haben jede Nacht Obdachlose in ihrem Haus, bei anderen dürfen sich Obdachlose nur zu den Suppenküchen-Zeiten auf dem Grundstück aufhalten.

Die einen solidarisieren sich mit den Menschen auf der Straße und verzichten deshalb auf eine Klimaanlage und Fernsehen. Die anderen bieten genau dies. Die einen achten auf gehaltvolle Ernährung, betreiben sogar eigene Gärten, die anderen leben ausschließlich von Essensspenden und essen das amerikanische „junk food“. Es gibt welche, die so weit wie möglich auf Autos verzichten, und andere, für die es ein typischer amerikanischer Gebrauchsgegenstand ist. Die einen teilen ihr Einkommen, andere nur die Arbeit, die Aufgabe.

Gemeinsam ist allen das Verständnis vom Dienst an den Armen und von den Werken der Barmherzigkeit, begründet in der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium in der Bibel. Dies ist quasi ein Lebenskonzept, das alle auch so propagieren, wobei es die Verwandten gibt, bei denen entsprechende Sätze floskelhaft klingen, und andere, die beim Abwasch des Geschirrs der Obdachlosen ganz freundlich sagen: „Ich bediene sie gerne, sie erleben das so selten. Außerdem stelle ich so sicher, dass das Geschirr wirklich sauber wird.“ Gemeinsam ist auch die Erkenntnis des fehlerhaften amerikanischen Systems, das durch seinen Militarismus die soziale Gerechtigkeit aushebelt. Protestaktionen gegen Waffensysteme, aber auch die Todesstrafe oder Atomkraftwerke, sind z.T. spektakulär und führen in den USA nicht selten zu Verhaftungen. Diese werden in Kauf genommen, mir schien es manchmal so, als ob man untereinander damit prahlt oder vergleicht, wer wie viele Festnahmen vorzuweisen hat.

Start und Ziel unserer Reise war die Open Door Community in Atlanta, GA, deren MitbegründerInnen Murphy Davis und Ed Loring uns 2003 in Hamburg besucht hatten. Das Open Door ist eine für uns Brot & Rosen-Leute große Gemeinschaft in einem großen Haus. Sie nennen sich gerne „The Protestant Catholic Worker“, weil sie vor allem evangelisch sind. Hier leben die Gründungsmitglieder, das „Leitungsteam“, zusammen mit den „Partnern“, oft ehemaligen Obdachlosen, und Freiwilligen. Am Beginn unserer Reise erlebten wir ausgerechnet die Suppenküchen-freien Tage, d.h. ein ruhiges Haus mit wenig Menschen. So hatten wir Zeit für das Martin Luther King Zentrum in dessen Geburtsstadt. Am Sonntag erlebten wir vormittags einen spektakulären, spritzigen und höchst unterhaltsamen Gottesdienst in der neuen Ebenezer Baptist Church. Ich fragte mich schon, wie King seine Kirche heute erleben würde, voll der Beschäftigung mit dem eigenen Seelenheil, ohne sozialrechtlichen, gesellschaftskritischen Bezug. Nachmittags feierte die Open Door Community ihren wöchentlichen Gottesdienst. Anstatt mehrerer hundert Leute kamen ca. 35 Menschen in dem Essraum zusammen, aber der Gottesdienst war nicht minder charismatisch, nicht weniger fröhlich – und doch ganz anders! Hier stand der/ die Andere im Fokus, hier ging es um Solidarität.

In Nashville, Tennessee und in St. Louis, Missouri, verbrachten wir jeweils nur eine Nacht. Nashville Greenlands ist eine 1-Mann-Gemeinschaft, Karl Meyer ein Mann mit Prinzipien und sehr guten und prägenden Ideen für die CW-Bewegung. Z.B. propagiert er das „urban gardening“: jede/r Städter/in sollte den eigenen noch so kleinen Garten nicht mit Rasen bepflanzen, sondern bewirtschaften.

St. Louis erinnerte mich an eine Kommune aus den 70er Jahren. Die Gemeinschaft ist groß, und viele junge Menschen und Familien leben mit. Der Gründer und Namensgeber des Carl Kabat Hauses ist ein katholischer Priester. Ich erlebte ihn in Shorts und eine Zigarette nach der anderen rauchend. In der Nachbarschaft befindet sich eine zweite CW-Gemeinschaft, das Karen Haus, in Punkto äußeres Erscheinungsbild und Strukturiertheit der totale Kontrast zu Carl Kabat Haus, aber freundschaftlich verbunden.

Am nächsten Tag fuhren wir weiter nach Columbia, Missouri. Wir folgten einer Einladung von Steve Jacobs, der 2009 in Deutschland gewesen war. Hier blieben wir mit zwei kurzen Unterbrechungen insgesamt 2 ½ Wochen lang. St. Francis CW sind zwei Häuser, wobei aktuell nur das eine, das Haus für die Männer, in dem wir unterkamen, ein Haus der Gastfreundschaft ist. St. Francis hat ein für uns ganz neues Konzept: Es ist von 19 Uhr bis 8.30 Uhr geöffnet, an den Wochenenden sind die Zeiten etwas anders. An unserem ersten Abend war es für uns überraschend, als pünktlich um 19 Uhr die Vordertür geöffnet wurde und eine Gruppe von Männern hereinstürmte, die einen zielsicher in den Keller zur Waschmaschine, die anderen in die Küche, um sich etwas zu essen oder zu trinken zu nehmen, wieder andere zu den Duschen oder ins Wohnzimmer, um Fernsehen zu gucken. Das Wohnzimmer ist sowieso der faszinierendste Raum dieses Hauses. Wenn ich denke, dass unsere Küche und unser Wohnzimmer bei Brot & Rosen multifunktional genutzt werden, so ist das nichts im Vergleich zu St. Francis. Dort ist das Wohnzimmer Eingangshalle, Fernsehraum, Esszimmer, Besprechungsraum, Raum für die Öffentlichkeitsarbeit, Kapelle – und Schlafraum! Jeden Abend (um 22 Uhr ist hier Zapfenstreich) holen sich vier Männer ihre Bettwäschestapel aus einem Kellerregal, beziehen ihre Sofas und legen sich so wie sie gekleidet sind schlafen. Nicht alle Obdachlosen, die St. Francis nutzen, übernachten auch da. Ab 7 Uhr morgens ist darum das Haus wieder geöffnet, und nun können sich alle mit Frühstück versorgen. Zu den Mahlzeiten kommen auch Frauen, sie sind aber eine deutliche Minderheit. Ich machte mich beliebt, indem ich unaufgefordert die beiden riesigen Kühl-Gefrier-Kombis grundreinigte und eine unglaubliche Menge z.T. unglaublich alter Lebensmittel entsorgte. Das war ein Staunen, als die Männer abends in die Kühlschränke guckten. Meine Putzaktionen – vielleicht typisch Deutsch, typisch weiblich – an denen sich vereinzelt meine Kinder beteiligten, regten zu Diskussionen in der Gemeinschaft und unter den Obdachlosen an. Aber von zu Hause weiß ich, dass Anstöße von außerhalb nicht zwangsläufig zu schnellen Veränderungen führen. In St. Francis tröstete man sich damit, dass wir einfach in zwei Jahren wiederkommen.

In Columbia fühlten wir uns pudelwohl. Die ungewöhnlichen Öffnungszeiten des Hauses, das eher kleiner ist als unser Brot & Rosen-Haus, bedeuten, dass es tagsüber sehr ruhig ist. Routinemäßig werden Küche und Bäder geschrubbt. Manchmal kommen Gruppen ins Haus, Lebensmittelspenden werden gebracht und die Gemeinschaftsmitglieder gehen eigenen Jobs nach. Die Gemeinschaft lebt übrigens nicht in Einkommensgemeinschaft, die Einkünfte sind sehr unterschiedlich, aber das schien für niemanden ein Problem zu sein. Obdachlosigkeit, so lernten wir, bedeutet nicht zwingend, ohne Auto, Job oder ein Dach überm Kopf zu sein, aber es heißt bittere Armut und in der Regel, über keinen Schlüssel zu einer eigenen Bleibe zu verfügen. Ich erlebte, wie verschieden Obdachlose sind und wie „normal“ ihre Themen und Bedürfnisse. Gerne saß ich bei den Mahlzeiten mit am Tisch und lauschte oder beteiligte mich an den Gesprächen. Dass eine Frau regelmäßig dabei war, gefiel ihnen gut, noch mehr aber die Anwesenheit der Kinder, die die Atmosphäre wirklich auflockerten.

An einem Tag halfen wir in der Suppenküche „Loaves and Fishes“ mit und einmal beteiligten wir uns an der wöchentlichen Mahnwache gegen die Rüstungspolitik der USA.

Einer unserer Abstecher führte uns zu „Strangers & Guests“ in einem 30-Seelen-Dorf in Iowa. Dort leben Betsy und Brian Terrell ein völlig alternatives Leben mit Milchprodukten von ihren Ziegen, eigenen Hühnern, eigenem Garten und selbstgebackenem Brot. Lea und ich lernten hier an einem großen Webstuhl zu weben. Landleben, Ruhe und die Möglichkeit manueller Arbeit in Haus und Garten stellen für viele CW-FreundInnen eine erholsame Alternative zu ihrem Gemeinschaftsleben dar. Betsy und Brian sind beide politisch sehr aktiv und haben auch schon die eine oder andere Gefängnisstrafe verbüßt.

Auf dem Rückweg nach Atlanta machten wir noch einen Zwischenstopp in Memphis, Tennessee. Dort lernten wir das Mannah House kennen, das von einem Kreis von sich auch als CW verstehenden Menschen an drei Tagen in der Woche vormittags für Obdachlose geöffnet wird. Memphis war für uns auch im Blick auf M.L. King spannend. Wir besichtigten das Loraine Motel, auf dessen Balkon er 1968 erschossen wurde. Beeindruckt davon, besuchten wir beim zweiten Mal in Atlanta noch einmal das King Center und dieses Mal sehr viel ausführlicher.

Bei unserem zweiten Besuch in der Open Door Community hatten wir die Gelegenheit, in der Suppenküche mitzuhelfen. Beim Essen wird großer Wert darauf gelegt, die Menschen am Tisch zu bedienen wie in einem Restaurant. Sie sind werte Gäste. Jonas half im Essraum, Lea und ich verteilten am Ausgang Sandwiches und Pfefferminz-Bonbons und bei Interesse auch die Zeitung der Open Door Community.

Hier wie auch in den anderen Gemeinschaften waren die langen Gespräche, der Austausch über unsere jeweiligen Gemeinschaftsthemen, -fragen und –erkenntnisse besonders wichtig. Bei aller unterschiedlichen Ausprägung bleibt das unbedingte Gefühl, am selben Strang zu ziehen, ist die Verbundenheit spürbar, die uns alle stärkt.

Der Abschied fiel uns schwer. Gerne hätten wir jede Gemeinschaft länger erlebt. Gerne hätten wir noch mehr, z.B. auch mal welche mit Kindern, kennengelernt. Die Offenheit, das Interesse, vor allem aber die unkomplizierte Art fast aller, die wir trafen, haben uns sehr gut getan und inspiriert.



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