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Ein grünes Licht der Hoffnung

Pastorin Dietlind Jochims bei der Predigt in der Hauptkirche St. Jacobi.

von Dietlind Jochims / November 2021 (März 2022)

Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Pastorin Dietlind Jochims, hielt diese Predigt beim Requiem „Gedenken + Protest“ am Volkstrauertag, 14. 11.2021.

Liebe Gemeinde, dies ist kein einfacher Tag, kein einfacher Gottesdienst.

Wir sind hier zwischen Gedenken und Protest, zwischen Ohnmacht, Wut und dem unbändigen Wunsch, etwas ändern zu können.

Immer noch ertrinken Menschen auf der Flucht im Mittelmeer. Sie fehlen!

Immer noch gibt es kein ernsthaftes Nachdenken über eine politische, über eine menschliche Lösung. Sie fehlt.

Viele Afghanen und Afghaninnen leben seit August in Angst. Auch die, die hier sind. Ihnen fehlen ihre Familien, um deren Sicherheit sie sich sorgen. Es fehlen die Möglichkeiten, sicher auszureisen. Es fehlen die Möglichkeiten, legal einzureisen.

Seit Wochen hängen Tausende Geflüchtete in den Wäldern an der Grenze zwischen Belarus und Polen fest. Opfer von Menschenhandel in einer für uns neuen Dimension.

Sie fehlen, die Überzeugungen der Friedensnobelpreisträgerin EU.

Sie fehlen, die Ideen, wie Despoten und menschlichen Dramen begegnet werden soll. Und es fehlt sogar die Erlaubnis, humanitär zu helfen vor dem Erfrieren und dem Verhungern. Es fehlt so vieles. Es fehlen so viele.

Die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, schreibt darüber heute in einer Sonntags-Zeitung: „Echt, es kotzt mich an“. Das darf auch hier von der Kanzel so stehen bleiben.

In all diesem, zwischen all diesem möchte ich euch erzählen: Von einem Licht. Von einem Jesus-Wort und einem von Amanda Gorman.

Das Licht gehört in die Reihe der Lichter, die wir hier angezündet haben für all die Menschen, die fehlen. Und gleichzeitig ist es anders. Es ist grün.

Ich möchte euch erzählen von den grünen Lichtern in Podlachien an der Ostgrenze Polens. Seit Wochen begegnen polnischen Grenzbewohner*innen hier Geflüchtete – aus dem Irak, dem Iran, aus Jemen, Syrien und Afghanistan. Ihnen gelang zwar die Flucht über die belarussische Grenze, doch dann irren sie verzweifelt und orientierungslos durch den polnischen Białowieża-Urwald mit seinen gefährlichen Sümpfen herum. Wenn sie von polnischen Polizisten und Grenzschützern aufgegriffen werden, fahren diese sie meist wieder über die Grenze zu Belarus und setzen sie dort im Wald aus. Das ist illegal. Man nennt es Pushback.

Die Bewohner*innen Podlachiens wählen zwar überwiegend rechtspopulistisch, aber dann wurden die Menschen in einem Dorf Zeug*innen eines besonders brutalen Einsatzes: Geflüchtete waren dort aufgegriffen worden. Die Mütter hatten um Aufnahme gebeten und auf ihre völlig erschöpften Kinder hingewiesen, dennoch wurden auch sie abtransportiert über die Grenze.

Stimmen wurden lauter, die fragten: „Wo sind die Kinder?“ und Stimmen, die sagten: „Es sind doch Menschen. Sie sind in Not. Wir müssen ihnen helfen.“ Der Bürgermeister und alle Mitglieder des Stadtrates gingen nach Hause, umwickelten Tisch- und Stehlampen mit grünen Tüchern und stellten sie ans Fenster. Die Idee der grünen Lichter wurde verbreitet.

Inzwischen leuchtet es aus vielen Fenstern und Häusern in der Grenzregion grün: Wo man ein grünes Licht sieht, können Geflüchtete mit einer freundlichen Aufnahme rechnen. Es gibt etwas Warmes zu essen und zu trinken, ein erholsa-mes Bad, ein sauberes Bett für ein oder zwei Nächte und vor allem Ruhe und Sicherheit für eine kleine Weile. Das zählt umso mehr, als weitere humanitäre Hilfe in diesem Gebiet nicht zugelassen wird.

Vor einer Woche schlossen sich viele öffentliche und kulturelle Einrichtungen dem „Grünen Licht“ an und beleuchteten ihre Gebäude in ganz Polen.

Diese Lichter sind Gedenken und Protest zugleich.
Ein Licht im Dunklen macht Mut, es weist den Weg und warnt auch.
Lichter als Protest gegen Menschenfeindlichkeit.
Lichter als Protest gegen den Tod.
Das sind die grünen Lichter in Polen.
Und die Lichter hier in der Kirche.

Solche Lichter zünden wir nicht nur an. Wir tragen sie in uns. Solche Lichter können wir sein. Lichter gegen die unheimliche Dunkelheit von Nationalismus und Abschottung. Lichter für die Menschenrechte und als Wegweiser.

Ihr seid das Licht der Welt“ hat Jesus in seiner berühmtesten Rede, der Bergpredigt, gesagt. Davon möchte ich auch erzählen.
Ihr, wir, die wir oft genug so müde und abgekämpft sind, oder nicht wissen, wie es weitergehen soll, Angst haben oder unzufrieden sind: Ihr seid das Licht der Welt. Wir sind das Licht der Welt. So klein und normal oder nicht normal, so schwach, flackernd und verletzlich: Ihr seid Licht in der Welt, im Dunkel, ein Abglanz der Liebe Gottes.

Also, schaut euch um: Die Banknachbarin hier neben dir in der Kirche, der Kollege, die polnischen Bauern in Podlachien, der Koch auf der Sea Watch 4, die Kirchengemeinde, die Kirchenasyl gewährt, der Bekannte, der dem afghanischen Freund zuhört: Lichter in der Welt.

Und zwar nicht die Tollste oder der Mutigste, nicht: Ihr seid einzelne Lichter der Welt, sondern: Ihr seid das Licht. Keiner und keine von uns ist es allein.
Wenn Licht die Dunkelheiten dieser Welt hell machen soll, dann braucht es dazu ein Miteinander von vielen, die zusammen etwas bewegen und gestalten.
Es braucht uns alle, jeden und jede. Niemand kann alles, niemand hat nichts einzubringen.

Wir brauchen uns, um gemeinsam Licht zu sein.

Gleichzeitig müssen wir das Licht nicht schaffen. Es gibt immer Licht. Weil wir die Zusage von Gott haben, dass wir Licht sein können. Und dürfen. Und auch müssen.

Und schließlich: Erinnert ihr euch an die Worte der 22jährigen Amanda Gorman im Januar 2021 bei der Amtseinführung des US-amerikanischen Präsidenten? Diese beeindruckende und kluge Mutrede?
Die war so etwas wie ein weltliches „Ihr seid das Licht der Welt“.
There is always light.
If only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.

Ich lese einige Sätze mehr aus diesem Gedicht auf Deutsch:
Wenn es Tag wird, fragen wir uns,
wo wir Licht zu finden vermögen, in diesem niemals endenden Schatten?
Den Verlust, den wir tragen,
ein Meer, das wir durchwaten müssen.
Wir haben dem Bauch der Bestie getrotzt.
Wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet.
Und dass die Normen und Vorstellungen von dem, was gerecht ist, nicht immer Gerechtigkeit sind.
Und doch gehört die Morgendämmerung uns,
noch ehe wir es wussten.
Irgendwie schaffen wir es.
Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten heraus,
entflammt und ohne Angst.
Die neue Morgendämmerung erblüht, wenn wir sie befreien.
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.

Ihr seid das Licht der Welt“. Amen. ■



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