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Soll das Schwert andauernd weiterfressen?
von Ana Raffai / 25. Oktober 2024 Weißt Du denn nicht, dass das bittere Ende nachkommt? Der Fokus dieses Vortrages ist die Frage, was wir für den Frieden aus diesem Text in 2. Samuel 2, 26 in unserer aktuellen Situation gewinnen können. Ich möchte euch einige meiner Gedanken vermitteln, die meistens aus meiner nahen Kriegserfahrung und der Friedensarbeit in der Nachkriegszeit entstanden sind. Das Ziel unserer Überlegungen ist zu erkennen, welche Chancen für die Friedensstiftung wir jetzt und heute haben, welche Kraftquellen uns aus der nahen Vergangenheit und aus der Gegenwart zur Verfügung stehen, um im Krieg und danach die Friedensarbeit als Weg des Widerstandes zum Krieg zu wählen. Samuelbücher Wir beschäftigen uns mit dem Satz, der Abner in den Mund gestellt wurde: „Soll das Schwert andauernd weiterfressen? Weißt du denn nicht, dass das bittere Ende nachkommt?“ (2. Samuel 2,26). Abner und Joab sind zwei Kriegsfeinde, Abner ist Kriegsherr auf Sauls Seite, Joab auf Davids. Der oben zitierte Satz ist nicht einmal der ganze Vers 26. Dieser endet mit: „Wie lange hältst du den Befehl an die Leute zurück, dass sie von der Verfolgung ihrer Brüder ablassen?“ Der Vers findet sich am Anfang des zweiten Samuelbuches. Die Absicht der Samuelbücher ist in erster Linie eine theologische: Die historischen Fakten werden theologisch gedeutet. Man musste erklären, warum eine neue Staatsform in Israel angenommen wurde, warum Saul versagt hat und warum David die richtige Person ist, die das Volk Gottes führen soll. Man wollte verständlich machen, dass das Volk weiterhin zu Gott gehört, auch wenn es sich für den König entschieden hat. Die Entscheidung des Volkes für das Königtum missfällt Samuel wie auch GOTT. Das Volk soll Gott als sein Oberhaupt nicht verwerfen. Es sollte ein Volk von Priestern Gottes (Exodus 19,6) und kein Knecht eines irdischen Königs sein. 2. Samuel 2,26 Nach einem Kommentar zum Text handelt es sich hier um einen Waffenstillstand. Ich stimme dieser Interpretation zu. Kontextuell folgt der Waffenstillstand nach mehreren Kämpfen und Toten. Die kriegerische Auseinandersetzung begann mit einer Schlacht, die wie eine Art Wettkampf beschrieben wurde. Zwei gleich große Gruppen von Kriegern haben gekämpft und haben sich in diesem Wettkampf komplett vernichtet (2. Sam 2,14). Der Krieg begann wie ein Spiel und entfachte sich in einen brüderlichen Vernichtungskampf. Abners Ruf an Joab stoppt diese Entwicklung. Es ist Abner gelungen, seinen Gegner zum Waffenstillstand zu bewegen, denn der Wille zum Frieden war auch bei Joab da. Hier berichtet der Text davon, dass es möglich war, die Waffen zum Schweigen zu bringen, wenn bei den Männern in der Machtposition der Wille vorhanden ist, den Krieg zu beenden. Welche Bedeutung hat der Text für uns? Im Vers 26 des 2. Samuelbuches hören wir einen Appell. Der Appell kommt von einem der Kriegsführer. Er wendet sich an seinen Gegner, riskiert sein Angebot, den Kampf zu beenden. Ob er wusste, dass seine zwei Gründe, den Kampf zu beenden, auch Joab plausibel erscheinen würden, wissen wir nicht. Diese sind:
Mit dem ersten Grund spricht Abner aus, was wir vom Krieg wissen, ohne es uns immer eingestehen zu wollen: das wesentliche Merkmal des Krieges ist, dass er die Menschen frisst. Der Menschenfresser ist nach Abner allgemein der Krieg, diesmal frisst das Schwert nicht nur weiter, sondern andauernd, immer. Das Menschenfressen eines Krieges ist keine Ausnahme von der Regel. Das Menschenfressen ist die Regel, das Merkmal des Krieges. Die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat 1981 ein Buch mit eindrücklichen Texten geschrieben: „Im Hause des Menschenfressers – Texte zum Frieden“. Zum zweiten Grund: Er warnt vor den Früchten des Krieges genauso verallgemeinernd. Immer ist das Ende des Krieges bitter. Es wird nicht geschildert, was Abner in einer aufgeheizten Situation wie der Schlacht dazu gebracht hat, auf einmal den Kampf beenden zu wollen. Seine Worte klingen wie eine plötzliche Wende. Der Text schildert, dass die Unterbrechung des Kampfes gelingt. Der Waffenstillstand ist eine kurzfristige Unterbrechung, mehr eine Ausnahmesituation im ganzen Buch. Immerhin fand der Autor des Textes, dass es wichtig sei, von dieser Unterbrechung zu berichten. Wenn ich die Botschaft des Verses 26 zusammenfasse, dann berichtet der Text darüber, dass die Gewalt inmitten des Krieges unterbrochen werden kann. Inmitten der Normalität des Kampfes kann die Einsicht geboren werden, dass der Kampf ein Menschenfresser ist. Das Bewusstsein für das bittere Ende kann inmitten des Krieges wachgerufen werden. Der Appell um die Unterbrechung der Gewalt hat einen Sinn, auch wenn es kein endgültiges Kriegsende darstellt. Warum gegen den Krieg und wie? Schade, dass wir uns nicht vor der Schlacht, sondern erst danach dessen bewusst werden, dass das Schwert ein Menschenfresser ist und nach dem Kampf das bittere Ende kommt. Schade, dass es uns noch nicht als Menschheit gelingt, uns des verbrecherischen Charakters des Krieges so bewusst zu sein, dass wir den Kampf gar nicht erst beginnen. Es bleibt uns jedoch, jedes Mal die Initiative zu ergreifen und den Krieg zu unterbrechen. Dazu muss man/frau sich jedoch der eigenen Macht bewusst sein. Es geht nicht um die Machtposition, die ein Abner hatte, und die die meisten von uns nicht besitzen. Die Initiative beginnt in unserem Denken und Sprechen, das sind Orte unserer Macht. Immer wenn wir bewusst gegen den Krieg denken und sprechen, haben wir die Möglichkeit, dem Kriegstreiben etwas zu widersetzen. Diese Initiative unterscheidet sich von dem ohnmächtigen Jammern, dass wir als kleine Menschen nichts gegen so eine Maschinerie wie Militär und Weltpolitik tun könnten. In der Billigung der Gewalt als Mittel der Verteidigung liegt schon unsere Verantwortung für den Krieg, ob wir Soldat*innen oder einfach Bürger*innen sind. Es ist uns nicht immer gegeben, uns aktiv an der Kriegsunterbrechung zu beteiligen, aber wir können immer wieder in unserer Einflussreichweite durch unser Verhalten zeigen, wie der Krieg zu verachten ist. Es gibt keine neutrale Position. Die militärische Logik, die unseren öffentlichen Raum verseucht hat (hier rede ich von der gesellschaftlichen Lage in unserer Region, wo ich lebe und beobachte), verdanken wir nicht nur der politischen Führung, sondern uns allen, die wir das Militärische als Virus in uns als einzelne und in uns als Gemeinschaft bzw. als Gesellschaft tragen. Die Impfung dagegen ist die klare Antikriegsposition, die Position für den Frieden, und zwar nicht erst nach dem Krieg. Der laute Einsatz von Abner für die Kampfunterbrechung ist so eine klare Position. Er hatte Glück, dass andererseits ein ähnlicher Wunsch in der Antwort von Joab anwesend war. Das Schwert an sich (nicht erst der brutale Terror oder der ungerechte Angriffskrieg) frisst die Menschen. Die staatlichen Verteidigungsideologien verstecken diese Wahrheit, sie verschweigen das Menschenfressen, widerlegen es aber nicht. Diese Wahrheit, die uns allen irgendwie klar vorkommt, bedeutet jedoch in meiner Denkweise: das Gebot des Verbotes zu töten. Wenn das Töten in der gerechten Verteidigung das Töten bleibt, wenn also die gerechte Verteidigung im Krieg das Töten im Wesen nicht verändert, dann ist die Rechtfertigung der Notwendigkeit der militärischen Gewalt eine Illusion, die uns zum bitteren Ende führt, wie wir leider in unserer Erfahrung nach dem Balkankrieg erleben. Die großen Ungerechtigkeiten, die der Krieg mit sich trägt, weckt viele Menschen in ihrem Gewissen, so dass es wie ein Drang im Inneren des Menschen entsteht: Ich muss etwas tun. Die Not der leidenden Kriegsopfer verpflichtet zum Handeln, die Solidarität mit den Opfern ist gefragt. Bis jetzt ist die militärische Art und Weise, etwas zu tun, am meisten organisiert, bekannt und finanziell unterstützt. Aber die militärische Hilfe bewahrt uns nicht vor dem „bitteren Ende, das auf uns nachkommt“. Bertha von Suttner warnte davor, dass Blut nicht mit Blut gereinigt werden kann, wie wir auch Ölflecken nicht mit noch mehr Öl zu entfernen versuchen. Die moralische Verpflichtung für die Gemeinschaft bedeutet, sich auch im Krieg für die Friedensarbeit einzusetzen. Auf die Frage: „Was können wir gegen den Krieg im Krieg tun?“, ist meine Antwort: Auf die Tatsache des Krieges sollen wir mit Friedensarbeit antworten. Ich betone, nicht allein mit Frieden, sondern mit Friedensarbeit. Jedes Mal ist es möglich, im Krieg sich aktiv gewaltfrei für die Menschen einzusetzen. Aus der Erfahrung des Krieges den Krieg ablehnen Ich habe den Krieg aus der Nähe gesehen. Das Antikriegszeugnis ist aus meiner Sicht meine Pflicht und ich hoffe mein Dienst an meinen Mitbürger*innen heute. Denn noch immer, drei Jahrzehnte nach dem Dayton-Abkommen, leben wir in Kroatien das Narrativ von einem idealisierten Verteidigungskrieg, von der heldenhaften Befreiung. Mit dem Krieg in der Ukraine wird dieses Narrativ wiederbelebt. Ob es damals möglich war, den Krieg zu verhindern und eine friedliche Trennung von Jugoslawien zu erreichen, wie es mit der Tschechoslowakei der Fall war, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es Versuche gab, unmittelbar vor dem Kriegsbeginn mit den rebellierenden Serben in Kroatien zu verhandeln. Diese Versuche wurden verhindert. Wenn ich behaupte, ich habe den Krieg aus der Nähe gesehen, denke ich auch an die Nachkriegszeit, die bis heute bei uns auf eine gewisse Weise noch dauert. Der einzige Nutzen aus dem Krieg in meinem Leben ist es, dass ich die existenzielle Bestätigung in mir trage für das NIE WIEDER. Denn der Krieg ist ein Geschäft: „Die Waffen liefern die Reichen, die Armen liefern die Leichen“. Im Krieg tun die Menschen Dinge, die sie nie ohne diese „Partnerschaft“ mit der Gewalt tun würden. Im Krieg werden Menschen zu Menschenfressern gemacht, ohne dass sie vorgewarnt wurden, wozu sie sich entwickeln werden. Im Krieg verkommen gute Menschen zu hässlichen, kleinen Dieben, im Krieg ist Mord, Vergewaltigung, Plünderung der Alltag. All das Aufgezählte gehört konstitutiv zum Krieg und nicht zu den Abweichungen von der „sauberen“ Kriegsführung. Was wir heute in Gaza, Libanon, Ukraine zu sehen bekommen, das ist es, wie der Krieg aussieht. Es ist keine Überschreitung der legitimen Verteidigung. So sieht die legitime Verteidigung aus. Wir haben es auf dem Balkan durchgemacht. Wir ließen uns von der Verteidigungsideologie anstecken und sind noch heute nicht ganz von dieser Feindschaftssucht befreit. Wie können wir der Friedensarbeit schon im Krieg die Richtung geben? Die Friedensarbeit beginnt mitten im Krieg, indem wir uns mitten im Krieg der Verbreitung von Feindschaft widersetzen. Die Feindschaft wird schon vor dem Krieg erzeugt, im Krieg blüht sie auf. Im Krieg wird sie „konkreter“. Die unschuldigen Opfer „rechtfertigen“ das neue Töten und die noch tiefere Feindschaft. In der Weitergabe der Feindschaft liegt der Aberglaube, dass wir so mit den Opfern solidarisch seien. Aber eigentlich tun wir damit nichts Gutes, weder den Lebenden noch den Toten, wenn wir die Opfer als Verpflichtung zum weiteren Krieg deuten. Wir können dagegen die unschuldigen Opfer des Krieges als unsere Verpflichtung verstehen, die Gewaltspirale, deren Opfer sie gewesen sind, zu durchbrechen, indem wir uns der Dämonisierung des Feindes widersetzen. Es ist mühsam, im Krieg die Botschaft zu vermitteln, dass die Kriegs-Feinde auch einmal Friedens-Freunde werden können. Diese Botschaft irritiert oder ist schwer vorstellbar, denn die Angst und die Verletzungen sind zu groß. Wo wir vom Frieden angesichts der Wunden nicht reden können, müssen wir vom Frieden aber schweigen. Wir, die wir nicht zum unschuldigen Opfer gemacht wurden, sondern am Leben geblieben sind, haben eben die Verpflichtung, aus den Feind*innen Freund*innen zu machen. Die Legitimation für diese Richtung geben uns Vorbilder aus unserer Gegenwart, die ablehnen, in den sentimentalen Staatsritualen der Opfer zu gedenken. Dagegen wehren sich jene, die im Krieg ihre Eltern, ihre Kinder verloren haben und sich eben deshalb dafür einsetzen, zwischen jetzt verfeindeten Menschen und Gruppen Brücken zu bauen. Ihr Leiden wird zu ihrer Friedenskraft. Wir können uns ihnen anschließen und mit unserer Friedensarbeit die Sinnlosigkeit ihres Verlustes in die Friedenskraft verwandeln. Die Opfer sind nicht umsonst gefallen, sie sind nicht umsonst umgebracht worden, wenn ihr Tod uns bewegt, an einer Gesellschaft zu arbeiten, in der es eines Tages keinen Krieg mehr geben wird. Ihr Sterben in Feindschaft weckt uns zur Verpflichtung zur Versöhnungsarbeit. Ich denke hier an Friedensaktivisten wie Maoz Inon, dessen Eltern im Kibbuz von der Hamas getötet wurden. Er ist überzeugt, dass seine Eltern eben das wollen, was er tut: sich für die Annäherung von Palästinenser*innen und Israelis einzusetzen. Er engagiert sich heute, obwohl viele Israelis fürchten, dass alle Palästinenser*innen sie hassen und töten wollen. Dem widersetzt er sich mit der Überzeugung, dass, wenn wir – aus der verständlichen Angst heraus – Menschen von uns fernhalten, keine Lösungsmöglichkeiten haben. Denn die Lösung ist in den Menschen aufbewahrt, meint er, die Menschen sind das Potential für den Frieden. Er arbeitet zusammen mit seinem palästinensisch-israelischen Partner Aziz Abu Sarah. Sie wissen, wie lang auch immer der Weg ist, „wir (Israelis und Palästinenser*innen) müssen zusammenleben“. Friedenstiften im Krieg ist auch Teil unserer Geschichte in Südost-Europa. Wir wissen dass in Mrkopalj /Gorski Kotar ein Lehrer, Franjo Starčević, die Verbindungen zwischen kroatischen und serbischen Dörfern gehalten hat und auf diese Weise die Gewalt verhinderte. Jahrelang hat er in Mrkopalj Schulen des Friedens organisiert. Heute sind in dieser Region Schulen aktiv, die die Kultur der Gewaltfreiheit pflegen. In Osijek wurde dieses Friedenszentrum 1992 unter der Bombardierung der Stadt gegründet. Die Friedensstifter*innen im Krieg, unsere Vorbilder, sollten uns auch Verpflichtung sein. Ihr Tun verdient bekannt zu werden, mehr als es bis jetzt der Fall ist. Wir können von ihrem Mut und ihrem „großen Džihad“ weitererzählen, dem Ringen in sich selbst um die Friedenskraft trotz der erlebten Gewalt, Ungerechtigkeit und Verluste. Auf diese Weise vermehren wir ihren Einfluss. Denn sie sind nicht nur für sich friedensengagiert, sondern zeigen uns, wo die Türen sind, die aus der Hölle des Krieges hinausführen. ■ |
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