Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Schule des Lebens

Unsere drei Schulanfänger Stefan, Jonas (5. Klasse) und Joel bei spannender "Lektüre"

Peter Maurin

von Dietrich Gerstner / September 2006

Vor Wochen war Joel von einer seltsamen Unruhe umgetrieben. Manchmal war er übellaunig, manchmal ganz aufgedreht. Und dann war das Ereignis endlich da. Der erste Schultag! Ausgestattet mit einer bunten und reichlich gefüllten Schultüte machte sich mein ältestes Kind unwiderruflich auf in eine neue Welt, noch an der Hand seiner Eltern, und doch spürbar ein „Großer“ im Verhältnis zu seinen Kindergarten-Brüdern. Eine Feier fand statt, und dann der Abschied von uns zur ersten Schulstunde mit seiner neuen Klasse. Danach erst mal Erleichterung - alles gar nicht so schlimm...

Angeregt durch Joels Einschulung beschäftigt mich die Frage, was ich von Schule eigentlich erwarte: Zusätzlich zu den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen soll er eines Tages andere Sprachen lernen, immer neue Fächer werden dazu kommen. Meine Hoffnung ist, dass er vor allem lernen wird zu lernen, um dadurch zukünftig auf die vielfältigen Herausforderungen des Lebens gut vorbereitet zu sein. Und ich wünsche mir, …

dass nicht nur sein Kopf geschult, sondern dass er in seiner „sozialen Kompetenz“ weiter gebildet wird.

Lernen ist ein lebenslanger Prozess und geschieht an verschiedenen Orten. Dorothy Day sprach von der Catholic Worker-Bewegung immer wieder als einer „Schule des Lebens“. Die Mitbegründerin der CW-Bewegung lebte über die Jahrzehnte hinweg mit hunderten von Menschen in ihrer Gemeinschaft in New York zusammen. Die meisten blieben nur für einige Monate oder Jahre. Einerseits litt Dorothy Day unter diesem ständigen Kommen und Gehen, andererseits glaubte sie nicht, dass alle Welt in einem Haus der Gastfreundschaft leben oder eine Suppenküche betreiben sollte. Aber sie war davon überzeugt, dass jedeR hier prägende Erfahrungen machen kann, die auch an anderen Orten wertvoll sind. Und so ist es ein Grundanliegen der Catholic Worker-Bewegung, nicht nur die „Werke der Barmherzigkeit“ zu tun, sondern auch darüber aufzuklären, warum es in unseren wohlhabenden Ländern dennoch Armut und Ausgrenzung gibt. Diesem Ziel dienen zum Beispiel die Zeitungen, die zu jedem Catholic Worker-Haus dazugehören, wie auch die gemeinsamen Diskussionen und öffentlichen Veranstaltungen zur „clarification of thought“. Peter Maurin hatte von Anfang an die Vision, dass solche Gemeinschaften Orte sein könnten, an denen „die Gelehrten und die ArbeiterInnen“ (und er meinte sicher auch die Arbeitslosen) von einander lernen und sich in ihren Erfahrungen gegenseitig befruchten können.

Nach mittlerweile 10 Jahren bei Brot & Rosen kann ich auch für unser Haus der Gastfreundschaft mit dem Bild der „Lebensschule“ immer mehr anfangen. Dabei sind die Grenzen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen bei uns stets fließend. Wie in den alten Dorfschulen lernen wir in verschiedenen Jahrgangsstufen zusammen in einer Klasse. Bei uns gibt es keine Noten oder Abschlusszeugnisse, wir haben keine „Schlussleuchten“ und auch keine Klassenbesten. JedeR bringt ihre und seine Gaben ein und kann sich selbst in unserem vielfältigen Haushalt neu erleben. Und auch wenn wir keinen speziellen Lehrer unter uns haben, so hat unsere Schule doch Regeln, die unserem Zusammenleben helfen sollen. „Niemand wurde gewaltfrei geboren. Niemand wurde barmherzig geboren. Die erste Pflicht einer gewaltfreien Gemeinschaft ist es, ihren Mitgliedern zu helfen, an sich selbst zu arbeiten und sich zu wandeln. Die Gemeinschaft bietet ein System von Regeln und eine Art des Lebens, die die Einzelnen verpflichtet umzukehren, neue Wege einzuschlagen und das Herz umzustülpen.“ (Lanza del Vasto)

Viele Menschen kamen zu Brot & Rosen, um hier für eine Phase ihres Lebens „zur Schule zu gehen“: So waren es in den 10 Jahren seit unserer Gründung 12 Gemeinschaftsmitglieder, 10 Langzeitfreiwillige und 124 MitbewohnerInnen. Einige blieben nur für einen kurzen „Intensivkurs“, andere für mehrere Jahre. Ich denke, wir alle haben hier Fertigkeiten neu erworben oder zumindest vertieft. Manche merkten nach einer Weile, dass sie hier genug für sich gelernt hatten. Andere machten die Erfahrung, dass diese Schulform für sie auf Dauer nicht die richtige ist.

Für die einen waren am Anfang v.a. die ganz praktischen „Fächer“ eine Herausforderung: Wie koche ich ein leckeres Abendessen für ca. 20 Menschen mit dem Gemüse, das zufälligerweise heute im Keller zu finden ist? Welche Marmelade lässt sich denn aus diesen verschiedenen Früchten einkochen, die soeben von der Hamburger Tafel gebracht wurden? Welche Farbe eignet sich am besten zum Malen von Demo-Transparenten? Wie gestalte ich ein ansprechendes Layout für den Rundbrief?

Andere sammelten bei uns ihre ersten Erfahrungen im Zusammenleben mit Kindern: Was mache ich mit der versammelten Kinderschar der Hausgemeinschaft, die mir für die Zeit einer Besprechungsrunde anvertraut sind?

Und wieder andere durften hier erleben, dass die Gestaltung von (Haus-)Gottesdiensten auch LaiInnen möglich ist und wir alle das Abendmahl / die Eucharistie in freier Verantwortung als Schwestern und Brüder miteinander teilen können.

Das „Hauptfach“, die größte Herausforderung und häufig auch das schönste Geschenk für uns alle ist sicherlich der intensive und nahe menschliche Umgang miteinander in einem gemeinsamen Haushalt: Wie lerne ich Unterschiede aushalten, respektieren und vielleicht sogar dann wertschätzen, wenn ich mich daran reibe? Wie gehen wir z.B. mit Fragen von Kindererziehung vor dem Hintergrund von kulturellen Unterschieden gemeinsam um? Was können wir dabei auch gegenseitig voneinander lernen? Wie gehen wir wiederkehrend mit den Fragen von Nähe und Distanz um - sowohl im Umgang mit unseren Gemeinschaftsgeschwistern als auch z.B. in dem Fall, wenn abends um 22 Uhr die Türklingel schellt und ein unangemeldeter Besucher um Einlass bittet?

Über die Jahre haben wir eine Menge Erfahrungen gesammelt. Diese geben wir auch gerne weiter an die vielen BesucherInnen, die durch unser Haus kommen: seien es KonfirmandInnen aus der Nachbargemeinde oder VikarInnen, die an der Missionsakademie einen Ökumene-Kurs besuchen. Vielleicht ist das auch eine Aufgabe, die wir noch mehr stärken sollten: Die Aufklärung, die Weitergabe von (guten) Erfahrungen mit unserem Lebensstil. Denn macht nicht genau das eine gute „Schule des Lebens“ aus: Nicht nur die guten Werke tun, sondern über die Ursachen reflektieren und sich dabei in seinem eigenen Leben herausfordern lassen?

Seit Joels Einschulung sind einige Wochen vergangen, langsam pendelt sich der neue Alltag ein. Joel geht bisher gerne in die Schule. Was immer auch Joel und unsere anderen Gemeinschaftskinder dort lernen werden, so bin ich gewiss, dass sie aus unserer „Lebensschule“ schon einiges an Rückenstärkung mitbekommen haben.



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...