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Tabubruch

von Heiko Habbe (Fluchtpunkt) / Oktober 2024

In der Nacht 29. auf den 30.9. wurde ein Mann aus dem Kirchenasyl in der katholischen Heilige-Elisabeth-Pfarr­gemeinde in Hamburg-Bergedorf abgeschoben. Dieser Bruch des Kirchenasyls ist beispiellos und darf sich nicht wiederholen. Am 8.10. hat die AG Kirchliche Flüchtlingsarbeit zur Mahnwache „Hände weg vom Kirchenasyl“ aufgerufen. Mehrere hundert Menschen nahmen teil. Wir geben hier den Redebeitrag von Fluchtpunkt – Kirchliche Hilfsstelle für Geflüchtete wieder.

Liebe Freundinnen und Freunde,
wir von Fluchtpunkt, der Asylberatungsstelle der Nordkirche hier in Hamburg, wurden um eine Einordnung gebeten. Das will ich gern versuchen.

Ein Kirchenasyl wurde geräumt. Und bei den vielen entsetzten Reaktionen, die uns erreicht haben, war auch: Kann man dagegen nicht klagen?

Nein. Das kann man nicht. Das Kirchenasyl ist kein Rechtsinstitut. Es ist eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Kirchenasyl ist damit gelebte Verantwortung. Das ist etwas anderes als ein Recht auf Kirchenasyl, und deshalb kann man Kirchenasyl auch nirgends beantragen. Das Kirchenasyl kann aber die Möglichkeit bieten, in schwierigen Fällen noch einmal einen Gesprächsfaden zu den Behörden anzuknüpfen. Dieser Schutzraum, sinnbildlich gemacht durch die Aufnahme in kirchliche Räume, muss erhalten bleiben.

Die Entscheidung über ein Kirchenasyl fällt niemals leicht. Die Kirchengemeinde, die einem geflüchteten Menschen Zuflucht gewährt, tut dies nach gewissenhafter Prüfung und in Achtung des christlichen Gebots der Nächstenliebe. Das hat auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einmal anerkannt. Es gibt eine Vereinbarung zwischen den Kirchen und dem Amt aus dem Jahr 2015. Damals ist vereinbart worden, dass jeder Fall eines ins Kirchenasyl aufgenommenen Menschen sorgfältig auf mögliche Härtefallgründe geprüft werden soll. Die Gemeinden wenden deshalb viel Mühe auf, um Dossiers zusammenzustellen, die den Einzelfall beleuchten. Diese Vereinbarung hält das Bundesamt leider seit vielen Jahren schon nur noch dem Buchstaben nach ein. In der Praxis erleben wir sehr häufig, dass die Dossiers stereotyp abgelehnt werden mit Textbaustein-Begründungen, die dem Einzelfall nicht gerecht werden.

Auch im konkreten Fall in Bergedorf war ein junger Mensch aus Afghanistan in großer Not. Der Betroffene leidet unter einer psychischen Erkrankung, für die er in Schweden keine Hilfe findet, da Schweden abgelehnten Asylsuchenden keine Hilfen mehr gewährt, sondern sie in die Obdachlosigkeit entlässt. Zudem wurde er mit der Abschiebung nach Afghanistan bedroht. Nach deutschen Rechtsmaßstäben wäre ihm dagegen höchstwahrscheinlich ein Aufenthaltsrecht gewährt worden.

Wenn Kirchenasyl kein Rechtsinstitut ist, was ist dann eigentlich „gebrochen“ worden?

Gebrochen wurde ein Tabu. Gebrochen wurde das uralte, auf die Antike zurückgehende Vertrauen, dass die Mächtigen in den sakralen Raum nicht eindringen. Dass sie denjenigen nicht antasten, der seine Zuflucht zu Gott und zur Gemeinde nimmt, solange ihm diese Zuflucht gewährt wird. Dass Macht sich nicht bis ins Letzte durchsetzt – obwohl sie es könnte. Kirchenasyl steht in dieser Perspektive auch für einen zivilisatorischen Akt.

Die Gewissensentscheidung einer Kirchengemeinde wurde in Hamburg jahrzehntelang respektiert. Jetzt aber wurde dieser Konsens einseitig aufgekündigt durch die Innenbehörde. Aufgekündigt durch eine Abschiebung im Morgengrauen, eine Bohrmaschine in einem Türschloss. Alles für ein paar Abschiebungen mehr.

Jonas Schaible schrieb kürzlich: „Eine Gesellschaft, die den Schutz der Tabus verlassen hat, steht wehrlos da, wenn sie konfrontiert wird mit Brutalität, Lüge, Schamlosigkeit und Hass.“ Und beschreibt das nicht, was wir erleben? Dass durch schamlose Lügen Brutalität und Hass gegenüber flüchtenden Menschen geschürt werden? Dass auch Teile der demokratischen Parteien immer stärker die Narrative der extremen Rechten übernehmen, ihre Politik exekutieren, ob in der Ankündigung, Grenzen zu schließen und Unterstützung zu versagen, oder eben im Bruch eines Kirchenasyls? Der Staat, der heute meint, das Kirchenasyl brechen zu müssen für ein paar Abschiebezahlen mehr – was wird der morgen tun? Das ist ein Weg, den wir nicht mitgehen können.

Das Eindringen ins Kirchenasyl in Bergedorf zeigt einen Kulturwandel auf, der uns über das Asylrecht hinaus Sorgen machen muss. Hier ist auch der Status der Kirchen als ethische Instanz angesprochen.

Wir rufen den Senat auf, das Gespräch mit den Kirchen zu suchen und von weiteren Räumungen Abstand zu nehmen. Hamburg darf sich nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Druck setzen, sich nicht in den Strudel einer überhitzten politischen Debatte hineinziehen lassen.

In letzter Zeit wird häufig ein „Kurswechsel“ in der Migrationspolitik gefordert. Wir fordern: die Politik soll überhaupt erst einmal einen erkennbaren Kurs steuern. Und zwar einen, der auf Fakten basiert statt auf Ressentiments. Der sich an Menschenrechten, Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien orientiert. Die Qualität einer humanen Flüchtlingspolitik bemisst sich nicht in der Zahl durchgeführter Abschiebungen. Wer Schutz braucht, muss ihn bei uns auch weiter finden können. ■



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