Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Was mir Hoffnung macht

Geburtstagsfeier für Dorothy Day vor und in der Ausländerbehörde

Kontakt halten mit einem ehemaligen Mitbewohner - eben nicht "aus den Augen aus dem Sinn"

von Dietrich Gerstner / Dezember 2012

Brot und Rosen – das klingt doch poetisch und lebensspendend, nach erfüllter Hoffnung. Bei solch einem verheißungsvollen Namen dürfte es doch leicht fallen, etwas über Hoffnung zu schreiben, oder?

Es stimmt, wir haben uns den Namen nicht ohne Grund gegeben. Damit wollen wir umschreiben, was unser Haus der Gastfreundschaft für obdachlose Flüchtlinge – und dann auch für uns als Lebensgemeinschaft – bedeuten kann: Lebensnotwendiges wie ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Tisch. Es geht aber eben auch um mehr. Wir wollen Beziehung leben, die Höhen und Tiefen des Lebens miteinander teilen, spielen und feiern – einen Geschmack vom Festmahl Gottes erahnen.

Seit 1996 haben wir mit weit über 200 Menschen zusammengelebt. Sie kamen aus so unterschiedlichen Ländern wie Türkisch-Kurdistan, Sierra Leone, Bosnien, Togo, Libanon, Zaire / Kongo, Palästina, Algerien, Kolumbien, Bangladesch, Ruanda oder Iran – aus insgesamt über 50 Ländern. Männer, Frauen und Kinder, unterschiedlichen Religionen zugehörig, alle unter einem Dach, versammelt um einen Tisch zum Abendessen, ein echter „multi-kulti“-Haushalt. Gemeinsam ist ihnen allen, dass eine existentielle Not sie obdachlos gemacht hat. Alle helfen im Haushalt mit, kochen, putzen oder kaufen ein. Manche leben nur wenige Tage mit uns, andere bleiben mehrere Jahre. Für viele wird unsere Hausgemeinschaft zu einem Zuhause auf Zeit.

Wir haben in den vergangenen Jahren mit vielen unserer MitbewohnerInnen Hoffnungsvolles erlebt. Nicht selten war ihr Leben bei uns von Erfolg „gekrönt“, sei es eine neue Aufenthaltserlaubnis, die Geburt eines Kindes oder die selbstbestimmte Weiterwanderung in ein anderes Land.

Aber es gab natürlich auch das Gegenteil. Endloses Warten auf neue Perspektiven, Scheitern aller Bemühungen, sich vertiefende Depressionen, verlorene Hoffnungen, die in tiefer Verzweiflung münden. Da scheint es naheliegend, dass auch wir als BegleiterInnen in Resignation verfallen, zumal die politische Großwetterlage nicht gerade ermutigend ist, wenn etwa, wie aktuell, vom Bundesinnenminister über einen neuen Ansturm von Roma aus Serbien und Mazedonien getönt wird, ohne mit einer Silbe die erbärmlichen Lebensbedingungen dieser Menschen und ihre Diskriminierung zu erwähnen. Insgesamt lässt mich die Flüchtlingspolitik in Deutschland oder die Situation an den Außengrenzen Europas in der Tat fast verzweifeln.

Hoffnungslosigkeit können sie sich nicht leisten

Aber ich habe von meinen MitbewohnerInnen gelernt, dass sie sich den „Luxus der Hoffnungslosigkeit“ (Gioconada Belli) nicht leisten können, zumindest nicht auf Dauer, wenn sie überleben wollen. Und so lasse ich mich gerne immer wieder anstecken von der Lebensfreude Meleks, dem hoffnungsvollen Gleichmut Aymans oder dem Humor Bashirs. Sie alle sind Menschen, die Schreckliches erlebt und erlitten haben, und die sich dennoch immer wieder aufrappeln und weiter gehen. Menschen, die mir Vorbild und Ansporn sind, selbst auch nicht den Mut sinken zu lassen. Leben wir nicht alle zum Teil von der Hoffnung anderer?

So will ich hier nicht von großen Erfolgen erzählen, sondern von kleinen Geschichten des Alltags, die mich zuversichtlich sein lassen und Hoffnung geben.

Vor einem Jahr kam Hilal zu uns. Ihre Verfolgungsgeschichte über viele Jahre steckte ihr offenbar in den Knochen. Ihr Lebensweg hatte sie aus der Türkei nach Deutschland, dann wieder zurück in die Türkei und über Belgien wieder nach Deutschland gebracht. Neben politisch motivierter Verfolgung ihrer Familie litt sie unter innerfamiliärer Bedrohung nach einer Zwangsverheiratung und späterer Scheidung. Ihr Gesichtsausdruck und ihre Körpersprache waren von einer depressiven Haltung geprägt. Und nun kam sie in unseren fremden Haushalt, eine internationale Lebensgemeinschaft in einer wiederum fremden Stadt. Ob das gutgehen kann? Wird Hilal stabil genug sein für diese fremde Umgebung? Noch ist offen, wohin ihr Weg sie führen wird. Im Alltag wird sie nach wie vor von mancherlei Leiden wie schweren Kopfschmerzen geplagt. Aber wir haben im vergangenen Jahr eine wirklich schöne Verwandlung erlebt: Hilal bereichert nicht nur unser Haus mit ihrer Koch- und Backkunst Sie ist auch förmlich aufgeblüht und hat ein ganz neues Selbstbewusstsein gewonnen. So erklärte Hilal kürzlich nach einem Infoabend über europäisches Aufenthaltsrecht anderen Mitbe¬wohnerInnen kenntnisreich die verschiedenen Aufenthaltstitel. Sie, die als vermeintliche Analphabetin zu uns kam und zuvor noch nie mit Menschen außerhalb ihrer Familie gelebt hatte! Offensichtlich fühlt sie sich bei Brot & Rosen zuhause. Unter vormals Fremden hat sie eine neue Familie gefunden, die sie in ihrer Suche nach Freiheit und Sicherheit unterstützt und mitträgt.

Eine andere Hoffnungsgeschichte: Kürzlich war ich bei einer Gemeindeversammlung in einer Hamburger Kirchengemeinde eingeladen, um über Gastfreundschaft und speziell über unsere Erfahrungen bei Brot & Rosen zu erzählen. Diese Kirchengemeinde denkt konkret über die Einrichtung einer Gästewohnung für Flüchtlinge nach und lässt sich dazu von verschiedenen Seiten beraten. Ein Mann sagte mir nach der Versammlung, dass er doch eher der Meinung sei, die Gemeinde sollte Brot & Rosen finanziell unterstützen statt selbst eine Wohnung einzurichten. Aber wir wollen nicht stellvertretend und exklusiv für "die Kirche" diesen Dienst der Aufnahme von be¬drohten Flüchtlingen tun, sondern gemeinsam mit anderen Raum in der Kirche schaffen, in dem wir "die Geringsten unter uns" (vgl. Matthäus 25) aufnehmen. Denn dass wir durch unsere Aufnahme von Fremden tatsächlich auch "Engel" beherbergen, wie es der Hebräerbrief formuliert (Kapitel 13,2), ist unsere Grunderfahrung gelebter Gastfreundschaft. Mit dieser Erfahrung beschenken wir uns als GastgeberInnen nicht zuletzt selbst – auch wenn unsere Gäste auf den ersten Blick nicht immer wie Engel daher kommen... So bin ich froh darüber, dass gerade in manchen Hamburger Kirchengemeinden die Bereitschaft wächst, ihre Türen für Kirchenasyl oder Gästewohnungen zu öffnen. Damit wird die Kirche zum konkreten Schutzraum. Ein Zufluchtsort, wie ihn schon die Psalmen besungen haben, die sich ganz neu lesen, wenn am eigenen "Altar" Schutz gewährt wird. So textete Helmut Frenz die letzten Verse des beliebten Psalm 23 mit der Erfahrung von Kirchenasyl vor Augen: "Nur Gutes und Barmherzigkeit verfolgen mich jetzt. Hier werde ich für immer bleiben in der Gemeinde des Herrn."

Zum Schluss möchte ich noch eine Erfahrung aus den letzten Tagen nennen: Im Herbst wurden die “Asyl-Monologe”, ein bewegendes Dokumentar-Theater über die Geschichten von drei AsylbewerberInnen, von der Bühne für Menschenrechte auf zwei Hamburger Bühnen aufgeführt. Mir ging das Herz auf, als ich im Publikum eine Menge junger Leute sah, die sich z.B. im Café Exil in der Beratung von Flüchtlingen und in antirassistischer Arbeit engagieren. Ich mag nicht einstimmen in die moderne Klage über die ach so passive "Jugend". Ich bin vielmehr dankbar, dass sich Menschen neu berühren lassen von den Ungerechtigkeiten, die auch in diesem Land geschehen. Dass sie sich davon nicht entmutigen lassen, sondern ihr Engagement mit Herz und Hand dagegen setzen! Oder besser gesagt, dafür: Für eine Welt, in der für Gerechtigkeit gestritten wird und die Hoffnung nicht ausstirbt.

Eine ähnliche Fassung dieses Artikels erscheint in der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift “weltbewegt”des Zentrums für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit .



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