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Maltas Flüchtlingsarbeit - zwischen den Kontinenten

Migrationsrouten nach Europa

Flüchtlingsauffanglager auf Malta, 2009

von Anita Lechler / März 2010

„Woher kommen Flüchtlinge? Was geschieht an den Außengrenzen der EU?“ Diese Fragen führten Anita Lechler von August bis Dezember 2009 zu einem Praktikum in einem offenen Flüchtlingscamp auf Malta. Am 12. Januar 2010 berichtete Anita bei einem Offenen Abend über ihre Erfahrungen. Dieser Artikel fasst die Themen des Abends zusammen.

Malta ist seit dem Beitritt 2004 mit 36 km² das kleinste EU-Land und durch seine Lage zwischen den Kontinenten Afrika und Europa Anlaufstelle für viele Fliehende, vorrangig aus dem Subsahara-Gebiet. Die Insel ist hoffnungslos übervölkert und natürliche Ressourcen sind knapp. Seit 2002 landen zunehmend Boote oder häufig nur noch Schiffbrüchige auf der Insel. Die meisten sind von Tripolis, Libyen, aus mit kleinen, überfüllten, meeresuntauglichen Booten aufgebrochen. Ziel Europa. Durch das große Seerettungsgebiet bis kurz vor der Küste Kretas trägt Malta für die Rettung Vieler Verantwortung.

Die Insel hat schon vor knapp 2000 Jahren ihre Gastfreundschaft für Schiffbrüchige erwiesen, wie wir es über Paulus in der Bibel nachlesen können (Apostelgeschichte 27). Doch heute ist die Situation etwas anders. Malta fühlt sich allein gelassen. 13.-14.000 Flüchtlinge zwischen 2002 und 2009 mag zunächst wenig klingen, doch für einen kleinen Flecken Erde mit 400.000 Bewohnern ist es eine große Herausforderung, oder besser Überforderung.

Die ankommenden Afrikaner werden zunächst untersucht und in 4 geschlossene Lager wie Gefangene gesteckt. Von dort können die meisten einen Asylantrag stellen, doch die Behörden brauchen oft Monate um darüber zu entscheiden. Zwar sollen schwangere Frauen, Kinder und andere besonders Bedürftige nach Möglichkeit gar nicht oder nur äußerst kurz so eingesperrt sein, doch die Realität sieht oft anders aus. Geführt werden diese sogenannten „detention camps“ von einem Bataillon von Soldaten, Polizisten und Söldnern. Nicht selten warten Menschen 1 Jahr oder müssen aufgrund eines doppelten Ablehnungsbescheides 18 Monate auf Ihre Freilassung warten. Die Bedingungen in Haft sind schwierig. Der Jesuitenflüchtlingsdienst ist die einzige freie Hilfsorganisation, welche regelmäßig Zugang zu den geschlossenen Camps hat. Doch trotzdem können nicht alle Menschen erreicht werden, über Ihre Rechte aufgeklärt oder aus Notsituationen gerettet werden. Bei vielen setzt absolute Mutlosigkeit ein: in Europa, und doch wieder keine Freiheit. Nicht jedem ist es vergönnt, sogenannte „tägliche Sonnenstunden“ zu erhalten. Die bis 2008 ständig steigenden Zahlen an Neuankömmlingen führten dazu, dass die Lager teilweise bis zum Überlaufen voll waren. Dementsprechend wurden Unterbringung, sanitäre Anlagen und geordnete Versorgung zum Problem.

Im Anschluss werden alle in offene Camps entlassen, ob nun mit oder ohne gewährtem Asyl. Diese bieten zunächst temporäre Unterbringung. Ein großes Problem für die Insel ist die Kollision des Elends dieser Menschen mit dem wichtigsten Wirtschaftszweig der Insel: dem Tourismus. Die etwa zehn offenen Camps befinden sich dementsprechend weit ab von allen zahlenden Gästen. So entstanden im Süden der Insel, in Hal-Far, fünf offene und zwei geschlossene Camps. Teilweise sind Menschen dort seit Jahren in Zelten untergebracht: im Sommer unerträglich heiß, im Winter nass und durchdringend kalt. Die Lebensbedingungen in einem großen ehemaligen Flugzeug Hangar sind nicht besser. 200 Menschen schlafen in Doppelbetten auf engem Raum, Wasser ist schwer zu bekommen, Kochgelegenheiten unzumutbar. Auch im Marsa Open Center, in welchem ich die Sozialarbeiterin unterstützen durfte, fehlte es bisweilen am Nötigsten, wie etwa warmen Decken für den Winter. Auf 800 Bewohner kamen 10 Mitarbeiter, welche chronisch überlastet waren.

Im Gegensatz etwa zu Deutschland finden von Malta aus kaum Abschiebungen statt. Hierfür fehlt es Malta schlicht an den notwendigen diplomatischen Beziehungen zu den Herkunftsregionen. So werden auch eigentlich Abgewiesene untergebracht und erhalten eine Notversorgung. von 80 bis 130 Euro monatlich. Das ist zum Leben zu wenig. Darüber hinaus ist vom System her nichts mehr für die Flüchtlinge vorgesehen. Integration wurde abgeschrieben. Zunehmender Rassismus steht dem entgegen, auch fürchtet man Invasionen ähnlich wie in früherer Geschichte durch England, Türkei und Deutschland. Die oft jahrelange Isolation der Bootsflüchtlinge und die erfahrene Diskriminierung führen dazu, dass diese sich häufig selbst von der Aufnahmegesellschaft absolut distanzieren. Daran können auch fortschrittliche Rechte, wie etwa die kostenlose Krankenversorgung und eine sofortige Arbeitserlaubnis selbst für Abgewiesene – in Deutschland unmöglich - wenig ändern. Die vollen Bürgerechte sind auf Malta unerreichbar, sofern nicht Einheimische geheiratet werden. Arbeit gibt es kaum, und wenn überhaupt dann als Tellerwäscher, Straßenfeger oder auf dem Bau. Bildungsabschlüsse werden nicht anerkannt, die Zugänge zu Bildungsmöglichkeiten sind sehr eingeschränkt. Die Hoffnung der Menschen hängt an der Fortsetzung der Reise. Doch durch die isolierte Lage Maltas ist dies nicht einfach. Zwar sind Reisepässe für Menschen mit internationalem Asyl für das europäische Ausland ausstellbar, doch kann dort kein Asylantrag gestellt werden oder der Aufbau eines eigenen Lebens stattfinden. Für die anderen sind Ausreisemöglichkeiten mit falschen Papieren und durch Schlepperringe die einzige, wenig viel versprechende Alternative. Ansonsten greift die „Dublin 2“-Verordnung, die besagt, dass das europäische Erstaufnahmeland für die jeweiligen Flüchtlinge verantwortlich ist. Besonders aus Skandinavien gibt es viele solcher unfreiwilligen Rückkehrer, doch auch Deutschland schickt Flüchtlinge zurück. Ich war erstaunt, wie viele Menschen ich traf, die einige Brocken Deutsch sprachen, Familie in Deutschland haben und schon selbst dort waren.

In Gesprächen mit Flüchtlingen spürte ich oft große Niedergeschlagenheit, Resignation und Verzweiflung: in einem Land festzustecken, von welchem man abgelehnt wird, in dem man selbst nicht sein möchte, das man aber auch nicht verlassen kann. Die wenigen Glücklichen, welche die Möglichkeit erhalten, an Umsiedlungsprogrammen in die USA oder, noch seltener, nach Europa teilzunehmen, lassen den „American Dream“ als Mythos entstehen. Fast jede glückliche Abreise zur Teilnahme an solchen Resettlement-Programmen lässt noch verzweifeltere Menschen zurück. Die vielen Traumatisierungen, v.a. durch Krieg, Verfolgung und schreckliche Fluchtrouten, können in Malta nicht aufgefangen werden. Es gibt kein Traumazentrum oder ähnliches.

Die Flüchtlinge Maltas sind Flüchtlinge Europas, und somit sind wir mitverantwortlich für das Geschehen auf der Insel. Was können wir in Deutschland angesichts einer solchen Situation tun? „Dublin 2“-Rückführungen müssen gestoppt werden. Geplante Sammelabschiebungen über große innereuropäische Flughäfen, sind ein Albtraum und deren Verwirklichung darf nicht stattfinden. Das so genannte „Burden sharing pilot project“, bei welchem andere EU-Staaten freiwillig Flüchtlinge von Malta bei sich ansiedeln, bedarf großzügiger deutscher Beteiligung. Die kürzlich angekündigten 100 Aufnahmen sind bei weitem nicht ausreichend. Es wäre erforderlich, dass Deutschland über diese Freiwilligkeit hinaus dafür wirbt, dass es zu einer verbindlichen regelmäßigen Umsiedlung in die Mitglieds­staaten der EU kommt. ExpertInnen könnten durch den Aufbau eines Traumazentrums, Schulungen für maltesisches Personal oder (temporäre) Mitarbeit Solidarität zeigen. Hierfür können bestehende Kontakte etwa zu Ahmed Bugri, Koordinator eines Flüchtlingscamps und Pastor, genutzt werden. Und nicht zuletzt kann und soll davon weiter erzählt werden, was vor Ort überhaupt geschieht.

Besonders schockiert hat mich persönlich die Allgegenwärtigkeit des Rassismus, und wie selbstverständlich ich als Europäerin Privilegien genieße, welche für so viele Menschen unerreichbar sind. Dem gegenüber war es mir manchmal fast unbegreiflich, doch immer noch auf Menschen zu treffen, die trotz unsagbar erfahrenem Elend nicht aufgeben und an einer besseren Zukunft arbeiten.

Anita Lechler, Studentin der Sozialarbeit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg



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